Mittwoch, 20. Februar 2013

Wie erarbeite ich eine korrekte Anlehnung und Beizäumung? Teil 1

So, ich habe geschrieben, wie es nicht aussehen soll und in dem Beitrag "Was ist Senkrecht" schon mal eine kurze Info darüber, wie es aussehen soll mit der Beizäumung und Anlehnung. Beim Schreiben dieses Beitrags habe ich aber festgestellt, dass er sehr lang wird, wenn ich es detailliert mache. Also wird der Beitrag aufgeteilt in die Arbeit mit dem jungen Pferd und dem Korrekturpferd mit Anlehnungsproblemen.
Bitte benutzt keine Hilfszügel, um die Anlehnung oder Beizäumung zu erarbeiten. Sie werden auch nicht reell helfen sondern eher Probleme schaffen. Gute Ausbildung dauert einfach seine Zeit. Der Körper des Pferdes muss sich entwickeln und umformen. Dieser Prozess dauert viele Monate.

Nun erläutere ich euch, wie ich die Anlehnung und Beizäumung erarbeite. Fassen wir noch mal zusammen, was ich bisher darüber geschrieben habe:
- die Nasenlinie darf einen Winkel von 90° zum Boden nicht überschreiten, also Senkrecht
- die korrekte liegt zwischen 1 Handbreit vor der Senkrechten bis maximal Senkrecht
- der Reiter darf dafür keinen Zwang, Druck oder irgend eine andere Form der Kraft benutzen
- die Hinterhand muß aktiv nach vorne fußen, sonst dehnt sich die dorsale Muskelkette nicht
- die ventrale Muskelkette muß sich aktiv anspannen

Bei jeder Übung oder Einwirkung auf das Pferd solltet ihr euch folgendes fragen: "Was lernt das Pferd in diesem Moment und was hat es am Ende der Übung gelernt?"

Das junge Pferd
Bei einem jungen Pferd haben wir 2 große Faktoren, die vom Reiter/Ausbilder berücksichtigt werden müssen:
1. es kennt die Hilfen noch nicht
2. die Muskeln sind noch nicht im Training, es ermüdet schnell
Zusammengefasst heißt das: wir brauchen Zeit und arbeiten in kleinen Schritten.

Als ersten Schritt müssen wir mit dem Pferd auf einer gleichen Kommunikationsebene sein. Da wir unsere Hilfen/unsere Sprache benutzen möchten, müssen wir sie dem Pferd erklären. Wie sagte mal einer meiner Trainer bei einer Fortbildung: "Wenn ich einem Chinesen das Tanzen beibringen möchte, muss ich erst einmal chinesisch lernen!". Um eine Sprache zu vermitteln, wird von einzelnen Wörter zu kleinen Sätzen gelehrt. Daraus werden dann ganze Absätze. Für ein Pferd gilt, dass es erst einmal die Bedeutung des Gebisses im Maul kennen muss, bevor es sich mir Reiter durch die Bahn bewegt. Wir verhindern durch das behutsame Heranführen an das Gebiss auch eine Verspannung im Maul und somit der ventralen Muskelkette. Für diese ersten Schritte gibt es in der altklassischen Lehre verschiedene Abkauübungen vom Boden.

Basisübungen
Der Reiter steht vor seinem Pferd. Das Pferd hat zum ersten Mal eine Trense drauf.
Dabei greift der Reiter von vorne sanft in die Trensenringe und hält Kontakt. Achtet darauf, dass ihr nicht direkt mit eurem Kopf über dem des Pferdes seid. Wenn es seinen Kopf hochreißt, ist euer Kinn oder die Nase evtl. hin. Durch ein vorsichtiges Bewegen der Ringe Richtung Maulwinkel wird eine Bewegung des Gebisses im Maul ausgelöst, was ein Spielen zwischen Gebiss und Zunge verursacht. So löst sich die Spannung im Unterkiefer. Der Reiter nimmt die Ringe nur für einen kleinen Moment hoch und dann sofort wieder runter evtl. mehrfach wiederholen wenn das Pferd sich im Maul nicht lockern möchte. Beginnt das Pferd zu spielen, dann ist es wichtig, einen sanften und gleichmäßigen Kontakt beizubehalten. So erfährt das Pferd etwas über die Anlehnung an das Gebiss. Ihr haltet dem Pferd das Gebiss sozusagen hin. Dabei darf das Pferd nie in eine Haltung gezwungen werden. Dieses Spielen mit Anlehnung wird ein paar Sekunden gemacht, dann darf das Pferd pausieren. Dabei läßt der Reiter die Zügel los. Das Ganze dann mehrfach wiederholen. Das kurzfristige Öffnen des Maules am Anfang ist dabei normal. Es legt sich das Gebiss im Maul zurecht und benötigt noch Platz. Es wird später weniger, da das Pferd mit dem Umgang des Gebisses geschickter wird. Sollte das Pferd das Maul zu stark öffnen, dann weniger und vorsichtiger einwirken. Diese Basisübung sollte zur Angewöhnung an das Gebiss immer wieder gemacht werden. Voraussetzung ist auch ein sehr lockeres Reithalfter. Ich empfehle auch, den Sperriemen zu entfernen.
Foto: privat
Einwirkung Richtung Maulwinkel

Als nächste Übung erklären wir dem Pferd den Zusammenhang zwischen inneren und äußeren Zügel. Der innere sorgt für Biegung, der äußere begrenzt diese, hält die äußere Schulter im Gleichgewicht und ist später für die Genickbeugung zuständig. Der innere Zügel darf niemals stärker als der äußere Zügel einwirken. Für diese Übung stellen wir uns seitlich auf Höhe des mittleren Halsabschnitt. Ein Zügel über den Widerrist (wird innerer Zügel), an dem anderen Zügel fassen wir wieder leicht in den Trensenring. Am besten nur mit dem Zeigefinger. Die restlichen Finger sollten die Zügel umschließen, da sie sonst gerne am Kopf des Pferdes rumbohren. Der Zeigefinger hält Kontakt zum Trensenring. Die Hand mit dem inneren Zügel fast diesen sanft fixiert mit Daumen und Zeigefinger und sucht nun auch Kontakt. Die Hand ruht dabei auf der Schulter des Pferdes. Die entstehende Zügelschlaufe lasst ihr runtergleiten. Ist sie zu lang, nehmt ihr sie zur Vermeidung von Unfällen, in die Hand an der Schulter auf. Mit dem Zeigefinger am Trensenring könnt ihr durch sanftes bewegen wieder ein Spielen auslösen. Dabei solltet ihr darauf achten, dass die Bewegung nicht rückwärts ausgeführt wird. Das ist schmerzhaft für das Pferd. Ideal ist etwas Richtung Maulwinkel. Das kennt euer Pferd schon aus der ersten Übung.
Um nun die Biegung auszulösen, achtet ihr zuerst auf ein gleichmäßige Verbindung an eurem Trensenring und dem inneren Zügel. Der innere Zügel darf ja nicht stärker als der äußere sein. Also muss der äußere Zügel zuerst kontrollieren. Nun geht ihr mit der Hand an der Schulter abwärts zum Boden und biegt das Pferd von euch weg. Dabei laßt ihr den Arm schwer werden, nicht ziehen. Die Hand am Trensenring begleitet die Bewegung entsprechend der Stärke der Biegung. Es ist ab einer gewissen Biegung erforderlich, dass ihr euch mit herum bewegt. Die Stärke der Biegung dürft ihr zu Beginn nicht zu weit verlangen. Es ist etwas Neues für das Pferd, sich durch eine Einwirkung zu biegen. 45° reichen als Maximum zu Beginn aus. Später dürft ihr im Halten auch bis 90° biegen.  Durch den Kontakt am Trensenring könnt ihr schon mal das Genick vorsichtig kontrollieren, indem ihr auf eine gute Verbindung achtet. Gut bedeutet: mitgehen und beweglich in euren Handgelenken bleiben. Der äußere Zügel kontrolliert auch die Höhe der Kopf/Halshaltung.
Foto: privat
Biegung  (fast 90°) und Spielen mit dem Gebiss verlangen

Das Biegen ist in einer tieferen Haltung leichter aber weniger effektiv, da sich dann eine Drehung im Hals gibt und die Muskeln weniger anspannen und dehnen. Am Ende der Biegung könnt ihr das Pferd für 2-3 Sekunden halten und dann beide Zügel gleichzeitig loslassen. So bekommt das Pferd eine Pause als Belohnung. Diese Übung führt ihr dann auf der anderen Seite des Pferdes aus. Wechselt die Biegung immer ab. Achtet immer darauf, dass eure Arme locker aus den Schultern hängen. Nur so könnt ihr auch sanft einwirken. Nach einigen Übungseinheiten könnt ihr durch eine verlängerte Begrenzung am äußeren Zügel vermehrte Genickbeugung (Beizäumung) beim Pferd erfragen. Dafür wartet ihr etwas, bevor ihr die Biegung begleitet. Das Spielen mit dem Gebiss ist hier besonders wichtig. Das Pferd darf die Genickbeugung auch nicht selbst erzeugen. So bringt ihr ihm zum einen eine falsche Reaktion auf eure Zügelhilfe bei (Biegen heißt nicht Genickbeugung!) zum anderen erzieht ihr es zum Vermeiden der Zügelhilfen. Es bewegt sich jedesmal nach hinten ohne Aufforderung. Probiert das Pferd das aus, dann bewegt ihr der Trensenring sofort nach vorne Richtung Oberkiefer. So "öffnet" ihr das Genick wieder und die Nase kommt vor die Senkrechte. Das macht ihr auch so, wenn die Genickbeugung zu stark war. Denkt beim Genickbeugen daran, dass die kleinen Kopfgelenksmuskeln wenig Kraft haben. Also vorsichtig und kurz die Genickbeugung fragen, dann pausieren. Die Steigerung geschieht über viele Wochen und wird durch häufiges Verändern der Haltung begleitet.
Verwirft sich das Pferd, habt ihr innen zu stark eingewirkt. Auch können Blockierungen im Hals ein Verwerfen auslösen. Überprüft noch mal eure Einwirkung.

Was passiert im Pferd?
Da wir am Boden arbeiten, muss das Pferd sich nicht noch zusätzlich mit dem Reitergewicht ausbalancieren. Das verringert den Stress (Sympathikus bleibt unten). Es kann in Ruhe die Einwirkungen auf das fremde Teil im Maul wahrnehmen und versuchen zu verstehen.
Wenn ein junges Pferd ungewohntes Gewicht auf den Rücken bekommt, ist seine natürliche Reaktion: Im Rücken hohl machen, Kopf und Hals hochnehmen. Die beiden wichtigen Muskelketten arbeiten entgegengesetzt zu dem, was sie sollen. Das wird auf jeden Fall passieren, wenn sich der Reiter auf das Pferd begibt. Wir müssen uns also vorher klar machen, wie wir dagegen angehen können ohne das Pferd in seiner Haltung zu fixieren und es zu zwingen. Das würde dann die Anlehnungsfehler provozieren.
Wir müssen die Muskeln also geschmeidig machen, damit wir von Beginn an dem Hohl machen entgegenwirken können. Die Muskeln des Halses sind für das Heben (obere Muskeln), das Runterziehen (untere Muskeln) sowie das Biegen von Kopf und Hals zuständig. Je nachdem an welchem seiner Enden oder beiden Enden der Muskel festgestellt wird. Der Muskel kann aber nur eine Funktion zur Zeit ausführen.
Durch das Biegen des Halses erreichen wir jeweils ein Dehnen der Muskeln auf der äußeren Seite und ein Anspannen auf der inneren Seite. So machen wir das Pferd seitlich beweglich. Durch die ausgelöste Biegung später unter dem Reiter muss das Pferd seine untere Halsmuskulatur aus der Verspannung lösen und positiv anspannen sowie die obere dehnen. Zusätzlich habe ich ja schon erwähnt, dass Biegung in tieferer Position einfacher ist. Das nutzen wir dann um daraus eine gedehnte Position zu erarbeiten. Die Verbindung über die Muskelketten läßt die Biegung, soweit anatomisch möglich, über die gesamte Längsachse des Pferdes gehen.
Das Spielen mit dem Gebiss sorgt durch die Muskelansätze von vielen unteren Halsmuskeln z.B. am Unterkiefer  für eine Bewegung des Unterkiefers. Dadurch ergibt sich gleichzeitig eine Bewegung in diesen Muskeln. Das verhindert zusätzlich ein Verspannen der ventralen Muskelkette, aktiviert diese aber. So ist das Pferd in der Lage, seinen hohl gemachten Rücken wieder aufzuwölben.
Dadurch, dass die Zunge sich locker im Maul bewegt oder ohne Anspannung im Maul ruht, ist auch das Zungenbein nicht verkantet. Am Zungenbein setzen viele Muskeln an, die u.a. zum Brustbein des Pferdes führen. Das Brustbein ist das eine Ende des Brustkorbes und somit für die ersten Brustwirbel. Ziehen hier die Muskeln unnatürlich, dann senkt sich der Brustkorb ab und damit auch die ersten Brustwirbel. Das wiederum sorgt für durch seine muskuläre Verbindung (Schultergürtel) zum Rücken für ein Absenken. Da wir die Zunge aber locker halten und nicht im Maul rumziehen, passiert das nicht. Ich werde noch einen detaillierten Bericht zum Thema Schultergürtel machen. Da könnt ihr dann genau nachlesen.

Nächste Schritte
Foto: privat
leichte Biegung in etwas höherer Position
Wenn diese Übungen im Stand gut funktionieren, dann könnt ihr sie auch in der Bewegung an der Hand ausführen. Dazu werden die Positionen von äußerem und inneren Zügel aber getauscht und ihr biegt das Pferd zu euch hin. Die Hand am Trensenring hat dann den inneren, die an der Schulter den äußeren Zügel. So könnt ihr euch auf dem Platz in geraden und gebogenen Linien bewegen. Geht aber auch da vom einfachen zum schweren vor. Eine gute Abfolge ist immer Volten und danach geradeaus am Hufschlag entlang zu kombinieren. Das könnt ihr dann auch in den ersten Einheiten unter dem Sattel so machen. Das kennt das Pferd dann bereits und es fürchtet sich nicht.
Foto: privat
An der Hand in Dehnung


Wenn ihr das Pferd reiten wollt, dann gewöhnt ihr es ja erst so an den Reiter und laßt es von einem Helfer führen. Dabei könnt ihr dann sanft die Zügel aufnehmen und den Kontakt aus der ersten Basisübung aufnehmen. Wenn es dann irgendwann ohne Helfer geht, müßt ihr vorweg noch die Biegung von oben in eure Erläuterung der Hilfen einbauen. Das macht ihr entsprechend zuerst im Halten. Das Pferd kennt diese Übung vom Boden. Wenn das klappt, macht ihr im Schritt mit den Volten und dem Geradeaus weiter. Die Genickbeugung kontrolliert ihr vom ersten Moment schon sanft über den äußeren Zügel. Mit der Zeit könnt ihr sie mehr fordern. Kommt das Pferd nach oben raus und über den Zügel, dann korrigiert ihr es über diese Biegung. Dann später auch auf anderen Linien arbeiten und die anderen Gangarten dazunehmen.
So erarbeitet ihr euch eine korrekte Anlehnung und Beizäumung bei einem jungen Pferd. Ihr sorgt für euer behutsames Vorgehen auch für Vertrauen und Entspannung. Auf diesem Weg habe ich schon viele junge Pferde ausgebildet. Bisher gab es da keine Probleme. Bei einem Korrekturpferd geht ihr am Boden auch erst einmal so vor. Dazu kommen dann noch andere Maßnahmen um das Problem zu beheben.

Foto: privat
korrekte Anlehnung und Beizäumung in Selbsthaltung
Schlußfolgerung
Man muss sich darüber im klaren sein, dass ein junges Pferd für die Entwicklung der Muskulatur und dem Verstehen der Hilfen Zeit braucht. Neben diesem Faktor ist noch ein anderer sehr wichtig, den viele Reiter nicht haben. Das ist die Geduld! Es hilft in der Ausbildung des Pferdes nicht, mit irgendwelchen Zwangsmitteln das Pferd in eine Haltung zu pressen. Ich habe in anderen Beiträgen bereits erläutert, dass die Kopfgelenksmuskeln nicht für statisch haltende Arbeit geschaffen ist. Genau das fordern wir aber, wenn wir mit Hilfszügeln arbeiten. Nichts ist so beweglich wie die direkte Einwirkung über den Reiter. Sofern sie locker ausgeführt wird.
Um eine korrekte und verständliche Anlehnung zu erarbeiten, machen wir uns die Funktion der Muskeln zunutze. Über das Biegen des Pferdes können wir es geschmeidig machen und die Haltung korrigieren. Die Anlehnung wird mit fortschreitender Ausbildung verbessert und gefestigt. Je mehr das Pferd diese Anlehnung zwischen Maul und Reiterhand akzeptiert, desto mehr können wir die Beizäumung, das Beugen des Genicks, verlangen. Fehler in der Reaktion des Pferdes müssen auf jeden Fall sofort korrigiert werden. Jede Bewegung, die das Pferd macht, wird im Unterbewußtsein gespeichert. Damit auch die falschen Haltungen oder Reaktionen auf eine Aufforderung. Wird nichts korrigiert, ist es für das Pferd richtig. Aber warum sollten wir dem Pferd die Fehler erst erlauben? Denkt einmal darüber nach.
Es gibt sicherlich auch andere gute Wege, dem Pferd die Anlehnung und Beizäumung beizubringen. Dies ist mein Weg.

Freitag, 15. Februar 2013

Kurstermine

Ihr wollt mich einmal in der Praxis erleben? Hier sind die aktuellen Kurstermine, wo ihr als Zuschauer oder aktiver Reiter teilnehmen könnt:

20. und 21. April, Lindenhof, 04657 Narsdorf
08. und 09. Juni, Gestüt von Kameke, 24340 Friedensthal
22. und 23. Juni, Hof Immenknick, 29392 Wesendorf, hier gibt es auch Schulpferde
29. und 30. Juni Gut Hohenschwärz, 91322 Gräfenberg

Wer genaue Infos möchte, schickt bitte eine Email an:
ecuyer99@aol.com

Gerne sende ich euch auch ein Angebot über einen Kurs bei euch im Stall.

Foto: privat
Foto:privat
Foto:privat

Montag, 11. Februar 2013

Anlehnungsfehler und ihre Auswirkungen

In allen Sparten der Reiterei, dem Fahrsport und auch beim Voltigieren wird das Pferd in eine bestimmte Form der Beizäumung gebracht. Sei es allein über die Hilfen des Reiters oder, was besonders schlimm ist, mit irgendwelchen Hilfszügeln. Ich persönlich finde den Begriff Hilfszügel eher befremdlich wenn man betrachtet, wofür und wie lange er doch eingesetzt wird. Aber egal ob nun damit oder allein über die Hilfen: In dem Moment, wo der Mensch das Pferd in eine Haltung zwingt oder keine Haltung vorgibt, wird es für das Pferd meistens schädlich.

Ich möchte hier die verschiedenen Fehler in der Anlehnung und Beizäumung des Pferdes aufzeigen und die meiner Meinung nach gesundheitlichen Auswirkungen. Diese Auswirkungen werden sich negativ im Gangbild, in der allgemeinen Gesundheit und der Psyche des Pferdes spiegeln. Ich empfehle den Lesern noch einmal den Beitrag über das Nervensystem und die Muskelketten zu lesen. Besonders der Teil über den Sympathikus und Parasympathikus. Hier noch einmal eine kurze Wiederholung dazu:

Sympathikus
Sorgt für mehr Energie im Pferd. Meistens in negativer Form. Erhöht sich bei Stress. Sorgt für erhöhten Muskeltonus, schnellere Atmung, senkt Durchblutung.

Parasympathikus
Regelt die Ruhe im Pferd. Sorgt z.B. dafür, dass Blutgefäße erweitert werden, gleichmäßige Atmung, normale Grundspannung der Muskeln. Bei erhöhtem Sympathikus wird der Parasympathikus niedriger. Das ist, wenn es dauerhaft vorkommt, schlecht für die gesamte Gesundheit des Pferdes.

Die verschiedenen Anlehnungsprobleme

Nun zu den verschiedenen Anlehnungsfehlern, so wie sie mir bekannt sind und ich es als falsch empfinde. Kann sein, dass der eine oder andere von euch noch andere Beschreibungen kennt. In der Regel sind immer mehrere Probleme kombiniert z.B. hinter der Senkrechten und falscher Knick. In all diesen Haltungen sackt das Pferd zwischen den Schultern mit dem Rumpf ab. Diese Region nennt man Schultergürtel und ist die Verbindung der Vorderbeine an den Rumpf.

1. über dem Zügel
Beschreibung: Das Pferd kommt mit seiner Nasenlinie sehr weit vor die senkrechte Linie. Dabei hebt es häufig den Kopf und Hals zusätzlich an. Wenn der Reiter hier mit dem Zügel gegenhält knickt das Pferd oft nur falsch ab. Häufig kann man diesen Anlehnungsfehler auch mit einem langen und flachen Hals sehen, wenn der Reiter dem Pferd keine Zügelverbindung anbietet. Es also am hingegebenen und durchhängenden Zügel reitet.
Foto: privat
Haltung eines Pferdes, wenn es sich über dem Zügel befindet
Dabei ist der Zügelkontakt auch fester als auf dem Bild


2. gegen den Zügel
Beschreibung: Das Pferd versucht verstärkt die Verbindung zur Reiterhand aufzubauen. Es sucht entweder Halt, weil es sich nicht im Gleichgewicht befindet oder versucht dem Druck der Hand nach vorne auszuweichen. Auch hier kommt die Nasenlinie weiter vor die Senkrechte (über den Zügel). Der Kopf und Hals heben sich dabei entweder nach oben an oder werden eher lang.

Foto: privat
Pferd geht gegen den Zügel und drückt sich nach oben

3. hinter dem Zügel
Beschreibung: Das Pferd versucht der Verbindung zur Reiterhand nach hinten/rückwärts auszuweichen. Es hat Angst vor der Zügelverbindung. Der Zügel hängt dabei durch. Dabei kommt die Nasenlinie etwas hinter die Senkrechte. Dieser Fehler wird in der Regel durch zu starken Druck des Reiters oder durch scharfe Gebisse ausgelöst. Der Reiter hat dabei das trügerische Gefühl, dass sein Pferd ganz leicht in der Hand ist. Wenn er aber den Zügel verlängert, dann wird das Pferd nicht sofort dieser Aufforderung zum Dehnen folgen. Wenn es das nach einiger Zeit macht, dann bleibt es häufig im Genick zu stark gebeugt. Nimmt der Reiter den Zügel weiter auf, dann wird das Pferd den Kontakt immer weiter nach hinten/rückwärts ausweichen. Irgendwann beißt es sich dann in die Brust. Dieser Anlehnungsfehler kommt sehr häufig vor.

Foto: von privat zur Verfügung gestellt
Man kann den durchhängenden Zügel und die deutliche
Halskrümmung erkennen. Das Pferd ist hinter dem Zügel.

4. hinter der Senkrechten
Beschreibung: Das Pferd ist auch hier, wie der Name schon sagt, hinter der senkrechten Linie.Es kann aber immer noch Kontakt zum Reiter haben.

Foto: privat
Pferd ist hinter der Senkrechten


5. falscher Knick
Beschreibung: Normalerweise gehört das Genick als höchster Punkt in der Beizäumung. In diesem Fall knickt das Pferd auf Höhe von 2.-4. Halswirbel ab. Auch bei dieser Haltung ist das Pferd weit hinter der senkrechten Linie und meistens hinter dem Zügel.
Foto: privat
Der höchste Punkt ist nicht das Genick

6. eng im Hals
Beschreibung: Hier kann das Pferd noch an der senkrechten Linie sein. Der Fehler ist aber, dass es sich durch starken Druck des Reiters im Hals zusammenzieht. Pferde, die gegen den Zügel gehen und dann zum Nachgeben im Genick gezwungen werden, kommen gerne in diese Haltung. Das Pferd hält dabei die Verbindung gegen die Hand und kämpft.

Foto: privat
eng im Hals, hinter der Senkrechten, falscher Knick

Foto: privat
eng im Hals, hinter der Senkrechten, falscher Knick

Foto: privat
eng im Hals, hinter der Senkrechten, falscher Knick
hier ist ein deutliches Absinken des Übergang
Halswirbel- Brustwirbel-Schulter zu erkennen

7. LDR
Beschreibung: Eine offizielle Haltung, die das Pferd einnehmen darf. Für mich ist es aber ein Anlehnungsfehler, da das Pferd das Genick nicht mehr als höchsten Punkt hat und die Nasenlinie weit hinter der Senkrechten ist. Zusätzlich ist hier noch der psychische Aspekt mit zu betrachten. Das Pferd ist nicht mehr in der Lage seinen Weg nach vorne zu sehen. Diese Haltung darf nicht mit einer korrekten Dehnungshaltung verwechselt werden. Dabei hat das Pferd die Nase nämlich vorn!

Foto: privat
deutlich ist die Nasenlinie hinter der Senkrechten
Genick ist nicht mehr höchster Punkt

Foto: privat
Nasenlinie weit hinter der Senkrechten
Genick nicht mehr höchster Punkt
untere Halsmuskulatur stark angespannt


8. in die Brust gebissen
Beschreibung: Das ist die Haltung, die das Pferd einnimmt, wenn das hinter dem Zügel oder hinter die Senkrechte reiten auf die Spitze getrieben wird. Das Pferd berührt mit seinem Maul fast die Brust oder die Vorderbeine. Es könnte sich sozusagen selber in die Brust beißen. Diese Haltung wird durch äußerst grobe und brutale Einwirkung allein durch den Reiter verursacht.

Foto: privat

Foto: privat
 
Jetzt was anatomisches über die Kopfgelenke


Um zu verstehen, was bei der Genickbeugung in den Kopfgelenken vor sich geht, müssen wir uns die anatomische Umgebung dazu ansehen. Als Kopfgelenke werden das Gelenk zwischen dem Hinterhaupt und dem 1. Halswirbel (Atlas) und das Gelenk zwischen dem 1. und 2. Halswirbel (Axis) bezeichnet. Den Knochen vom Hinterhaupt könnt ihr gut zwischen den Ohren fühlen. Geht mit den Fingern dazwischen und wühlt euch etwas durch die Schopfhaare. Wenn ihr einen grobkantigen Knochen spürt, dann habt ihr den Hinterhauptknochen. Direkt daran schließt sich der Atlas an. Die Flügel vom Atlas lassen sich gut zwischen Ganaschen und hinter den Ohren als Bogen fühlen. Geht mit dem Zeigefinger unter den Ohren entlang in die Furche hinter den Ganaschen. Das ist übrigens auch die Ganaschenfreiheit. Wenn ihr euch an der Halsseite orientiert merkt ihr den Bogen der Atlasflügel. Die Flügel bilden den unteren Teil des Wirbels. Der 2. Halswirbel ist schon schwieriger zu ertasten, da er nicht mehr so auffällig geformt ist und mehr von Muskeln bedeckt ist.

Das Gelenk zwischen Hinterhaupt und Atlas, 1. Kopfgelenk, wird auch als "Ja" Gelenk bezeichnet. Das Pferd kann in diesem Gelenk überwiegend nur Beugen und Strecken. Also Kopf hoch und runter. Beim nächsten Gelenk, zwischen Atlas und Axis liegt das 2. Kopfgelenk, geht die Links- und Rechtsdrehung (Rotation) sehr gut. Es wird auch als "Nein" Gelenk bezeichnet. In diesem Gelenk findet dann die Stellung statt. Nicht, wie viele vermuten, im ersten Kopfgelenk.
Dicht um diese Knochen herum gibt es viele kurze Muskeln. Oberhalb der Knochen liegen die Muskeln, die zur Streckung der Gelenke zuständig sind. Weiter unterhalb liegen die Beuger der Gelenke. Zwischen den einzelnen Wirbeln und seitlich liegen auch viele Muskeln, die für die Bewegung der Gelenke zuständig sind. Beobachtet einmal ein Pferd beim Grasen oder wenn es nach einem Zweig angelt. Es vollführt dabei ganz viele klein Bewegungen in den Kopfgelenken. Genau dafür sind sie geschaffen.

Muskuläre Auswirkungen


Wenn die Nase weit vor der Senkrechten ist
Hier dreht sich die eigentliche Funktion der dorsalen und ventralen Muskelkette um. Die dorsale verkürzt sich und die ventrale dehnt sich. Dadurch wölbt das Pferd den Rücken nicht mehr auf, Dornfortsätze können sich annähern (Kissing Spines). Der Bauch hängt nach unten durch, die Muskeln verspannen sich durch die ungewohnte Haltung, das Becken wird nicht mehr nach hinten abgekippt. Die Hinterbeine fußen mehr nach hinten raus und nicht mehr zum Schwerpunkt. Die Muskeln der dorsalen Kette bilden sich zurück (atrophieren). Die der ventralen Kette bilden sich durch die starke Anspannung beim dehnen mehr aus (werden hyperton). Das werden wirkt wie "umgedreht. Durch diese Haltung kann es Probleme in den Gliedmaßen geben, weil auch diese Muskeln nicht mehr richtig arbeiten.
Foto: privat
Pferd wurde in hoher Aufrichtung und wenig
Verbindung geritten



Wenn die Nase hinter der Senkrechten ist, mit Widerstand bzw. wenn die Verbindung zur Hand noch gehalten wird

Die vielen kleinen Muskeln rund um die Kopfgelenke müssen eine statische Haltung gegen einen Widerstand einnehmen und sich dann verlängern. Man spricht hier von exzentrischer Muskelarbeit (siehe Beitrag Muskelsystem). Dazu sind diese Muskeln aber nicht gebaut. Sie bestehen aus einem hohen fleischigen Anteil und sind nicht stark sehnig durchsetzt. Damit können sie also keine große Kraft lange aufbringen. Sie ermüden schnell und verspannen dann. Schnell ist in dem Fall bereits nach wenigen Minuten.
Durch die Überdehnung des Halses, wird verstärkter Zug auf das Nacken-Rückenbandsystem ausgeführt. Das Pferd wird zum "Spannrückengänger". Das führt im hinteren Bereich der Lendenwirbel und des Kreuzbein zu einer starken Überdehnung. Durch die Befestigung des Rückenbandes und der Muskeln wird das Becken vorne nach unten gezogen. Dadurch fußen die Hinterbeine nicht mehr zum Schwerpunkt. Es kommt zu Blockierungen im Kreuzdarmbeingelenk. Das hintere Widerlager, das Kreuzbein, wird außer Funktion gesetzt. Der Rücken wölbt nicht mehr auf. Nun muss die ventrale Muskelkette mehr von unten stabilisieren. Das führt wiederum zur Ermüdung der Muskeln und somit zu Verspannungen. Gliedmaßenprobleme folgen. Durch den starken Zug auf das Rückenband kommt dieses hoch. Es ist praktisch wie ein straffes Seil gespannt. Der Reiter merkt dadurch nicht, dass der Rücken hängt. Lediglich an der Qualität der Gänge, die nicht mehr schwungvoll sind und kurz werden, kann der Reiter das merken. Dafür muss er aber auch auf so etwas achten!
Der Druck im Maul ist für das Pferd äußerst schmerzhaft, was wiederum von der Seite zu verspannten Muskeln führt. Auch hier ist Muskulatur zum Genick und auch zu den Vorderbeinen betroffen. Das führt zu Problemen im Gangbild.

Wenn die Nase hinter der Senkrechten ist und kein Kontakt besteht
Das Problem ist genauso schlimm wie die anderen Probleme auch. Das Nackenband ist überdehnt. Dadurch, dass das Pferd sich rückwärts mit dem Kopf und Hals entzieht, wird die Spannung nicht mehr so stark auf den Rücken übertragen. Hier kommt es trotzdem zum Durchhängen der Wirbelsäule. Grund ist aber dafür die schlaffe und nicht vorhandene Spannung auf das Rückenband. Das Pferd wird zum "Schenkelgänger". Es bilden sich die gleichen Folgeprobleme wie im vorherigen Fall. Das Becken steht nicht korrekt, da das Kreuzbein nicht als Widerlager arbeiten kann. Die Hinterbeine fußen eher nach hinten raus. Die ventrale Muskelkette überarbeitet sich wieder und verspannt. Besonders im Hals verspannen sich diese Pferde stark. Probleme in den Gliedmaße, Abbau der Rückenmuskulatur folgen.

Schlussfolgerung:
Es ist äußerst bedeutend und wichtig, dass man dem Pferd die korrekte Haltung vorgibt und systematisch über das Training aufbaut. Dabei darf nicht über Zwang und Kraft gearbeitet werden, da das wieder zu falscher Muskelarbeit führt. Falsche Muskelarbeit führt nicht zum Aufbau der Muskeln sondern zu Abbau.
Die Muskeln des Pferdes brauchen mehre Wochen, bis man ein erstes Ergebnis im Training sieht. Bis zu einem guten und ausreichenden Muskelzuwachs braucht es viele Monate und Jahre.Vorausgesetzt ist immer das richtige Training. Werden über längere Zeit Fehler gemacht und das Pferd hat durch falsches Training eine schlechte Muskulatur entwickelt, dann muss der Reiter noch mehr Zeit und richtiges Training anwenden. Durch alle diese Anlehnungsprobleme kann es zu vielen Blockierungen im gesamten Pferdekörper kommen. Alle führen auf Dauer zu Schmerzen, die jedes Pferd unterschiedlich zeigt. Stress im Training und Schmerzen erhöhen wiederum den Sympathikus. Dadurch verstärken sich die negativen Auswirkungen weiter und der Teufelskreis beginnt. Die gesundheitlichen Auswirkungen wie z.B. Verknöcherungen und Entzündungen können schon nach sehr kurzer Zeit beginnen.

Demnächst

Freut euch auf die nächsten Berichte zu den Themen:

"Anlehnungsfehler und ihre Auswirkungen" Hier werde ich die verschiedenen Probleme der Anlehnung mal genauer unter die Lupe nehmen und auf die muskulären Probleme hinweisen.

"Wie stelle ich eine korrekte Anlehnung und Beizäumung her?" Tipps und Vorgehensweise bei jungen Pferden und Korrekturpferden.

"Schultergürtel" Die Verbindung der Vorderbeine zum Rumpf. Aufbau, Funktion und Probleme

Ich freue mich, wenn ihr wieder zum Lesen vorbeischaut. Gerne könnt ihr den Blog verlinken.

Liebe Grüße

Marion

Samstag, 9. Februar 2013

Was ist "Senkrecht"?

Die Stärke der Genickbeugung eines Pferdes darf maximal soweit sein, dass die Nasenlinie Senkrecht oder max. 1 Handbreit davor ist. Durch diese Beizäumung ist eine gute Muskelfunktion der dorsalen und ventralen Muskelketten (siehe Beitrag Muskelketten) gewährleistet. Doch wie definiert sich Senkrecht? Damit scheinen einige Probleme zu haben.

Der Begriff Senkrecht kommt aus der Mathematik und beschreibt die Stellung zweier Linien zueinander. 2 Linien stehen in einem Winkel von 90° zueinander.

Das kann z.B. zum einen die Linie der Erdoberfläche/Horizont sein:

Senkrecht zur Erdoberfläche
Oder an beliebiger Stelle:

Senkrechte Linien
Ist zwischen den Linien kein Winkel von 90°, so ist keine Senkrechte vorhanden:

keine Senkrechte

Daraus ergibt sich eine ganz klare Definition und ein klares Aussehen was die Beugung des Genicks des Pferdes betrifft. Man kann die Linie dabei oberhalb vom 1. Halswirbel waagerecht aus betrachten oder den Boden auf den das Pferd läuft. Die 2. Linie ist der Nasenrücken des Pferdes. Das ergibt dann diese Haltung:

Pferd ganz leicht vor der Senkrechten

Pferd ganz leicht vor der Senkrechten
Foto: privat




Formen der Genickbeugung, die davon abweichen, sind schädlich für die Muskelketten. Besonders die kleinen Kopfmuskeln rund um den 1. und 2. Halswirbel werden stark in Mitleidenschaft gezogen. Darauf werde ich in einem weiteren Bericht über Anlehnungsfehler eingehen.

Jeder Reiter sollte immer wieder überprüfen, ob die Haltung des Pferdes noch stimmt. Immer wieder erlebe ich bei Schülern, wie falsch das Gefühl dafür ist. Auch der Blick für Fehler muss geschult werden. Kurze Abweichungen von der korrekten Haltung können nur für wenige Sekunden toleriert werden und dürfen kein Dauerzustand sein. Sind die Abweichungen häufiger oder länger, dann wird sich ein großer Ausbildungsfehler einschleichen. Man darf auch keine Ausreden für falsche Haltungen suchen. Der Fehler wird immer vom Reiter provoziert. Das Pferd reagiert auf den Druck vorne.

Die Haltung des Pferdes ist in jeder Reitweise gleich zu betrachten. Der Körper eines Pferdes funktioniert immer nach dem selben Prinzip. Dabei ist es egal, ob ich FN, Western, gebisslos oder sonstwas als Vorbild habe.

Nasenlinie Senkrecht
Foto:privat

Donnerstag, 7. Februar 2013

Wie trägt das Pferd den Reiter?

Das unsere Pferde uns nicht mit dem Rücken tragen, dürfte sich ja inzwischen bei den meisten schon rumgesprochen haben. Aber womit macht es das denn jetzt?

In dem Beitrag über die Muskelketten, sind schon wesentliche Punkte dazu angesprochen worden. Um die Gesamtheit zu verstehen, müssen wir uns etwas aus der Physik raussuchen. Und zwar die Hebelgesetze. Da gibt es in einem Buch von Tanja Richter (Manuelle Therapie der Pferdewirbelsäule) ein tolles Beispiel: Wie ja allgemein bekannt, haben wir es auf unserer Erde mit der Schwerkraft zu tun. Um also ein Gewicht anzuheben, muss es gegen die Schwerkraft angehoben werden. Das ist mit etwas leichtem ganz einfach. Wenn das Gewicht schwerer ist, gibt es da schon Schwierigkeiten. Eine Lösung, die viele sicherlich,kennen, ist folgende: Man nimmt einen großen Stein und eine Stange. Den Stein klemmt man unter die Stange. Die Stange wird unter das Gewicht gelegt. Mit diesem verlängerten Hebelarm ist es nun möglich das Gewicht anzuheben. Je länger das Stangenende dabei ist, desto leichter kann das Gewicht angehoben werden. Damit uns das Gewicht nicht wegrollt, müssen wir es mit einer Schnur an das Stangenende befestigen. So können wir das Gewicht anheben und auch an einen anderen Platz platzieren.

Quelle: Uni Potsdam

Das Gewicht, um das es geht, ist in unserem Fall der Reiter. Natürlich muss das Pferd zur Fortbewegung auch sein eigenes Gewicht anheben und bewegen. Wir wollen aber klären, wie der Reiter getragen wird. Man spricht bei diesem Gewicht von einem "Lastarm". Das ist das Gewicht, das bewegt werden soll. Bewegt wird dieses Gewicht vom "Kraftarm". Damit dieser gut arbeiten kann, muss er fixiert sein. Der Kraftarm ist der Hals mit Kopf. Als hinteres Widerlager dient ihm dabei das Kreuzbein. Nun muss man aber daran denken, dass bei einem Pferd das Kreuzbein erst im 5. Lebensjahr zusammengewachsen ist. Vorher sind es einzelne Wirbel. Diese sind dann noch nicht in der Lage, das Widerlager entsprechend aufzubauen. Zur Unterstützung des Kraftarm dient die ventrale Muskelkette. Besonders die Bauchmuskeln geben dem Rücken von unten Halt.

Der Kraftarm funktioniert folgendermaßen:
Die obere Halsmuskulatur dehnt sich und das Pferd kann sich nach vorne und abwärts strecken. Dabei werden über das Nacken- und Rückenbandsystem (beschrieben in Muskelketten) die Wirbel über ihre Dornfortsätze aufgefächert. Als vorderes Widerlager und Drehpunkt dient dabei der Widerrist (im Beispiel unser Stein). Das hintere Widerlager, das Kreuzbein, beugt sich indem das Pferd mit der Hinterhand weit nach vorne fußt. So erhält der Kraftarm seine Fixierung. Die Wirbelsäule wir angehoben. Damit die Muskeln nicht zu stark beansprucht werden, stützt die Bauchmuskulatur das Ganze von unten ab. Eine gut entwickelte obere Halsmuskulatur kann diese Bewegung mit wenig Kraftanstrengung ausführen und so den Reiter effizient tragen. Die Rückenmuskulatur kann sich dabei ihrer Aufgabe, der Fortbewegung, widmen. Funktioniert dieses System noch nicht oder nicht mehr, dann schleppt das Pferd den Reiter mit der Rückenmuskulatur.

Dehnung des Pferdes
Quelle: Dr. Gerd Heuschmann


Schlussfolgerung
Ein junges oder untrainiertes Pferd kann den Reiter erst tragen und sollte somit erst richtig geritten werden, wenn die Halsmuskulatur sich entwickelt. Die Arbeit an der Hand oder gutes Longieren hilft beim Aufbau der Muskulatur. Solange das Kreuzbein nicht zusammengewachsen ist, ist das Pferd anatomisch nicht in der Lage seinen Kraftarm richtig einzusetzen. Junge Pferde sollten deshalb nur kurz und nicht täglich unter dem Reiter gearbeitet werden.
Je länger der Hals des Pferdes, desto mehr Gewicht kann angehoben werden. Aber auch ein guter Widerrist und ein genügend langes Kreuzbein sind dabei wichtige Komponenten.

Muskelketten

Die Skelettmuskulatur arbeitet häufig über so genannte Muskelketten. Sicherlich hat der eine oder andere schon einmal den Begriff "obere Verspannung" oder ähnliches gehört. Muskelketten verbinden verschiedene Regionen des Körpers entlang der Wirbel und führen Bewegungen über diese aus. Am bekanntesten sind dabei die "dorsale" (zum Rücken hin gelegen) und die "ventrale" (zum Bauch hin gelegen) Muskelkette. Diese Muskelketten arbeiten antagonistisch zueinander.

Dorsale Muskelkette
Zu ihr gehören die oberen (dorsalen) Halsmuskeln, die den Hals heben und den Übergang zwischen Hals- und Brustwirbelsäule strecken. Auch werden das Nacken- und Rückenbandsystem bestehend aus: Nackenband (vom 1. Halswirbel bis Widerrist) mit Nackenplatte (großflächiges Band vom 2.- 4. Halswirbel bis hin zum 2. - 4. Brustwirbel). Das Nackenband geht ab dem Widerrist über in das Rückenband. Dieses liegt oben auf den Wirbeln und führt bis zum Lendenbereich. Es ist im vorderen Bereich kräftig und elastisch. Im Lendenbereich verliert es an Elastizität. Das Nackenband ist dafür da, den Reiter zu "tragen" indem es zusammen mit den anderen dorsalen Muskeln die Dornfortsätze der Wirbel wie einen Fächer aufklappt. Darauf möchte ich aber in einem anderen Bericht näher eingehen.
Weiter hinten am Pferd gehört zur dorsalen Muskelkette noch die obere Kruppenmuskulatur und die Muskulatur der Lende. Die Muskeln zwischen Brustwirbel und Lendenwirbel strecken diesen Wirbelsäulenabschnitt. Zu der oberen Kruppenmuskulatur gehört die sog. Glutäenmuskulatur. Unsere Pobacken sozusagen. Sie befinden sich beim Pferd wie schon gesagt oben auf der Kruppe und formen diese.
Weitere wichtige Muskeln der dorsalen Kette sind die hinteren Oberschenkelmuskeln. Allgemein auch als "Hosen" bekannt. Sie liegen links und rechts neben der Schweifrübe und arbeiten hauptsächlich als Strecker des Hüftgelenks.
Dorsale Muskelkette
Quelle: www.horsewellness.de

Ventrale Muskelkette
Sie verläuft sozusagen an der unteren Seite des Pferdes. Zu ihr gehören die unteren (ventralen) Halsmuskeln (Beuger des Halses), die Bauchmuskeln, die Beuger des Übergangs Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule, Beuger des Lumbosakralgelenks (Übergang zwischen letztem Lendenwirbel und erstem Kreuzbeinwirbel. Bei vielen Pferden als "Loch" vor der Kruppe zu erkennen). Weiter hinten gehören die vorderen Oberschenkelmuskeln dazu. Sie arbeiten als Beuger des Hüftgelenks.

Abdominale (Bauch) Muskelkette
Sie setzt sich aus mehreren Muskelschichten zusammen, die sich in mehreren Ebenen kreuzen. Sie zieht sich vom Brustbein über die Rippen bis hin zum Becken- und Leistenbereich. Diese Kette arbeitet eng und synergistisch mit der ventralen Halsmuskelkette zusammen. Dabei verstärken sie sich gegenseitig.

Funktionsbeispiel: Durch das "Abstützen" des Pferdes am Gebiss und der Maultätigkeit wird die ventrale Halsmuskulatur aktiviert. Sie spannt sich positiv an. Diese Spannung geht über die Kettenreaktion weiter in die Muskeln der abdominalen Kette und führt weiter zu den Beugern des Lumbosakralgelenkes die dieses Gelenk beugen. Durch diese Beugung wird das Becken abgekippt, die Hinterhand tritt weiter in Richtung Schwerpunkt. Das führt zur Unterstützung der dorsalen Kette. Unser Pferd hat noch immer Kontakt zum Gebiss. Es dehnt seinen Hals schön vorwärts (!) und etwas abwärts. Über das Nacken- und Rückenbandsystem werden die Wirbel aufgerichtet. Durch das gute Untertreten wird über den hinteren Teil der dorsalen Kette der Zug nach hinten abwärts übertragen. Die dorsale Kette wird wie ein Bogen gespannt.

Korrekte Dehnungshaltung, Zusammenspiel der Muskelketten
Quelle: www.rueckenkur-fuer-pferde.de

Foto: privat
korrekte Dehnungshaltung und Anlehnung

Trainingstipps
Zum Aktivieren der ventralen Muskelkette eignet sich z.B. die Galopparbeit, Anreiten aus dem Halten, Seitengänge ruhig ausgeführt, Klettern und Cavalettiarbeit. Viel Trabarbeit ist eher weniger empfehlenswert. Im Trab arbeitet das Pferd mehr mit aktiver Streckmuskulatur und höherer Muskelspannung. Um die dorsale Muskelkette richtig arbeiten zu lassen, ist eine gute Dehnungshaltung unerläßlich.
Durch vorsichtiges Massieren der Bauchmuskulatur und Aufwölben des Rückens über das Entlangstreichen mit den Fingern an der Bauchnaht kann man manuell nachhelfen. Dabei sollte aber folgendes beachtet werden:
Massage nur mit der flachen Hand, da viele Pferde bei verspannter Bauchmuskulatur empfindlich sind. Die meisten kitzeligen Pferde haben eher verspannte Muskeln und die Berührungen sind unangenehm. Deshalb das Pferd genau beobachten. Weicht es aus, dann habt ihr zuviel gemacht. Die Übung "leckende Kuhzunge" von Linda Tellington Jones eignet sich sehr gut dafür.
Beim Aufwölben des Rückens über die Bauchnaht immer vorher massieren, damit das Gewebe entspannt ist und dann richtig arbeiten kann. Dann von hinten nach vorne Aufwölben, da die Wirbel wie Dachziegel ineinander eingehakt sind. Die Übungen nicht übertreiben. Pferde bekommen davon schnell Muskelkater.

Schlussfolgerung
Da die dorsale und ventrale Muskelkette als Antagonisten zueinander funktionieren, müssen wir das auch bei Problemen berücksichtigen. Wenn das Pferd den Rücken nicht richtig aufwölbt, dann arbeitet es "unten" nicht genug. Es kann dabei z.B. verspannte oder untrainierte Bauchmuskeln haben. Ohne die richtige Arbeit dieser Funktionsketten erhalten wir kein tragfähiges Pferd.

Das Muskelsystem

Die Muskulatur des Pferdes macht einen großen Teil seiner Körpermasse aus. Sie sorgt für Fortbewegung, der Unterstützung von Organen und der Stabilisierung des Körpers.

Arten von Muskulatur
Es werden hauptsächlich 3 Arten von Muskulatur unterschieden. Für uns wichtig ist in erster Linie die Skelettmuskulatur. Sie wird als quergestreifte Muskulatur bezeichnet und ist willentlich beeinflussbar. Auf diese Muskulatur gehe ich unter Aufbau des Muskels näher ein. Dann gibt es noch die Herzmuskulatur. Auch sie wird als quergestreift bezeichnet, ist aber anders aufgebaut als die Skelettmuskeln. Die Herzmuskulatur ist willentlich nicht beeinflussbar und arbeitet das ganze Leben lang. An den Blutgefäßen und inneren Organen befindet sich die glatte Muskulatur.

Aufbau des Muskels (Skelettmuskulatur)
Ein Muskel besteht aus vielen Muskelfaserbündeln. Die einzelnen Bündel sind wiederum aus einzelnen Muskelfasern zusammengesetzt. Eine einzelne Muskelfaser besteht aus dünnen Muskelfibrillen. Jeder Muskel ist von einer elastischen Hülle, der Faszie, ummantelt. Diese Faszien unterstützen die Gleitfähigkeit der Muskeln untereinander. Sie können verkleben und dadurch die Bewegung der Muskeln einschränken. Wenn ihr euch mal den Ärmel des Pullis über die Hand zieht, ist das in etwa das, was eine verklebte Faszie ist. Euer Arm ist weniger beweglich.
aus Wanless: Zum Wohle der Pferde, 1. Aufl. 1999

Skelettmuskeln kommen am häufigsten vor. Sie sind in der Regel paarig angelegt. Das bedeutet, es gibt auf der rechten und auf der linken Körperhälfte jeweils diesen Muskel. Ein Skelettmuskel hat einen Ansatz und einen Ursprung. Diese können weit voneinander entfernt liegen. Der Ansatz liegt dabei eher vom Körperzentrum entfernt (distal) und der Ursprung zum Körperzentrum hin (proximal). Beispiel: m. brachiocephalicus (Arm-Kopfmuskel) Ansatz: am Schläfenbein des Kopfes, Ursprung am Oberarm. Am Ursprung ist der Muskel mit einer kurzen Sehne am Knochen angeheftet. An der Ansatzstelle läuft er häufig mit einer mehr oder weniger langen Endsehne aus. Besonders an den Gliedmaßen zu erkennen. Die tiefe Beugesehne ist die Endsehne des weiter oberhalb liegenden M. flexor dig. profundus, dem tiefen Zehenbeuger. Bei Überlastung des Muskels kann es zu einer Entzündung im Bereich der Sehnen kommen. Das bedeutet, dass bei einer Erkrankung z.B. der tiefen Beugesehne, immer der dazugehörige Muskel überlastet wurde und auch behandelt werden muss. Zwischen Ansatz und Ursprung liegt der Muskelbauch. Er zieht den Muskel zwischen diesen beiden Sehnen zusammen. Die Sehnen selber arbeiten nicht und sind nicht dehnbar. Der Muskel zieht dabei über seinen Ursprung direkt am Knochen, oder er überträgt über seine Endsehne am Ansatz den Zug auf den weiter entfernt liegenden Knochen. Durch diesen Zug bewegen sich die Knochen aufeinander zu. Manche Muskeln haben mehrere Muskelbäuche. Dadurch haben sie auch mehrere Endsehnen und Ansatzpunkte. Andere haben auch mehrere Ursprungsorte. Bsp. trizeps, bizeps, quadrizeps. Es gibt Muskeln, die nicht an einem Knochen entspringen, sondern an Faszien. Muskeln mit sehniger Durchsetzung sind stabiler und können mehr Kraft aufbringen. Dafür sind sie weniger dehnfähig. Bsp. die Kaumuskulatur. Andere wiederum sind dehnfähiger, haben aber weniger Kraft.


Funktion der Muskulatur (Skelettmuskulatur)
Der Muskel wird aktiv indem er sich anspannt (Kontraktion) und wieder entspannt, eine Bewegung und eine Kraft ausübt. Muskeln arbeiten auf verschiedene Weise untereinander. Es gibt Gegenspieler (Antagonisten) und Spieler (Agonisten). Sie haben zueinander eine entgegengesetzte Wirkung. Der eine spannt an, der andere dehnt. Bsp.: Ein Muskel beugt das Gelenk zwischen 2 Knochen indem er sich anspannt. Das ist der Agonist. Auf der anderen Seite verhindert ein anderer Muskel, der Antagonist, dass sich dieses Gelenk zu stark beugt, indem er langsam und unter Spannung gegenhält. Dann gibt es noch die Synergisten. Sie arbeiten gleich oder ähnlich mit einem anderen Muskel zusammen. Sie können den Muskel verstärken oder durch z.B. Stabilisierung des Gelenks unterstützen. Muskeln, die eine Gliedmaße an den Körper heranziehen heißen Adduktoren, die Gegenspieler dazu, die die Gliedmaße vom Körper entfernen, nennt man Abduktoren. Muskeln, die eine Gliedmaße beugen, sind Flexoren. Die Streckung wird von den Extensoren übernommen. Drehbewegungen werden von den Rotatoren ausgeführt.
Je nachdem an welchem Ende der Muskel sich fixiert, kann er mehrere Funktionen haben.

aus: www.medizininfo.de

Ein Muskel kann sich auf verschiedene Arten zusammenziehen. Ich erläutere hier einmal die wichtigsten.
a) isotonisch: Der Muskel fixiert sich nur an einem Knochen. Er kann sich verkürzen ohne eine zusätzliche Spannung aufzubauen. Dabei bewegt er den anderen Knochen.
b) isometrisch: Der Muskel fixiert sich an beiden Enden. Er kann sich nicht verkürzen. Seine Länge bleibt gleich. Es erhöht sich die Spannung im Muskel. Sie ist dann statisch-haltend.
c) exzentrisch: Der Muskel kann unter Verlängerung Kraft aufbauen. Dabei ist der Widerstand gegen den er seine Kraft aufbaut größer als die Spannung. Der Muskel "bremst" eine Bewegung ab. Wie oben beim Bsp. mit dem Beugen des Gelenks. Der Antagonist arbeitet dabei exzentrisch. Diese Arbeit des Muskels in gedehnter Stellung ist schnell ermüdent. Bei Pferden in ständig gleicher Beizäumungshaltung arbeiten die Kopfgelenksmuskeln nach diesem Prinzip.
d) konzentrisch: Der Muskel überwindet den Widerstand und wird dadurch kürzer. Er arbeitet positiv-dynamisch.

Die Skelettmuskulatur des Pferdes wird unterteilt in 3 Schichten:
a) oberflächliche Schicht
Sie ist gut fühlbar. Auf diese Muskeln können wir z.B. durch Massage einwirken. Diese Muskulatur löst in erster Linie Bewegung aus.
b) mittlere Schicht
Sie liegt zum Teil unterhalb der oberen Schicht und ist auch für Bewegung zuständig.
c) tiefe Schicht
Sie liegt nah an den Gelenken und ist überwiegend für Stabilisierung des Körpers zuständig. Sie sendet ständig über die Propriozeption (siehe Nervensystem) die Stellung der Körpers im Raum an das Gehirn und Rückenmark. Sie werden auch als kybernetische Muskeln bezeichnet.

Oberflächliche Muskulatur
aus: Denoix/Pailloux, Physiotherapie und Massage bei Pferden, 1 Aufl. 2000

Schlussfolgerung
Wenn wir ein muskuläres Problem beim Pferd feststellen, müssen wir genau nach der Ursache forschen. Es kann z.B. ein Problem beim Antagonisten aufgetreten sein, das Training war nicht optimal (zu viel oder zu wenig), die Ausrüstung klemmt oder die Versorgung des Muskels funktioniert nicht richtig.
Beim Training ist es wichtig, sich genau vorzustellen, welcher Muskel wie arbeitet. So können wir effektiv sein und gezielt arbeiten.
Untrainierte oder verspannte Muskeln können nicht lange arbeiten und ermüden sehr schnell. Das kann bereits nach wenigen Minuten sein. Deshalb ist es wichtig die Arbeitsphasen der Muskeln langsam zu erhöhen und entsprechende kurze Pausen einzubauen. Durch die ständig wechselnde Haltung des Pferdes, z.B. mal komplette Dehnungshaltung, dann wieder etwas mehr aufnehmen usw. nimmt der Muskel an Umfang zu und kann sich positiv entwickeln.
Muskulatur baut sich bei Trainingspausen (schon ab 2 Wochen) ab. Deshalb ist hier Aufbautraining nach einer Pause wichtig.

Mittwoch, 6. Februar 2013

Das Nervensystem und Propriozeption

Kommen wir einmal zu einem etwas schwierigen aber äußerst wichtigem Thema. Ich werde versuchen es einfach zu halten und mich nur auf das Wichtigste zu beschränken.

Das Nervensystem regelt im Körper die bewussten und unbewussten Handlungen. Dabei arbeitet es mit dem Hormonsystem zusammen.
Unterschieden wird in 3 Nervensystemen:
- zentrales Nervensystem (ZNS)
- vegetatives Nervensystem (VNS) auch autonomes Nervensystem genannt
- peripheres Nervensystem (PNS)

1. Zentrales Nervensystem
Hierzu zählt man das Gehirn und das sich im Rückenmarkkanal der Wirbel befindliche Rückenmark. Das Rückenmark endet im Bereich der Lendenwirbelsäule. Ab hier ziehen dann nur noch Nervenstränge weiter.
Das Gehirn kann man als eine Art Erweiterung des Rückenmarks sehen. Im Gehirn finden die sog. kognitiven Vorgänge statt. Dazu gehören die Lern- und Denkvorgänge. Auch die Überwachung der unbewussten Vorgänge wie Atmung oder Reflexe werden im Gehirn gesteuert. Das Gehirn erhält z.B. durch das PNS über das Rückenmark Information über den Spannungszustand eines Muskels. Es vergleicht diese Spannung mit der abgespeicherten Normalspannung und der von anderen Muskeln und schickt dann eine entsprechende Meldung (Signale) über das Rückenmark und dem PNS zurück an den Muskel. So wird die Spannung entsprechend nachjustiert.
Das Gehirn wird unterteilt in Großhirn (Denkvorgänge, bewusstes Verarbeiten von Information aus den Sinnesorganen und Bewegung), Kleinhirn (übersetzt die Information aus dem Großhirn für die Bewegung in Muskelaktion), Mittelhirn ( Steuerung der meisten Reflexe) und Zwischenhirn (erste Anlaufstelle für die Informationen aus dem PNS und Sinnesorganen und Zuweisung einer Bedeutung). Wichtige Informationen aus dem Zwischenhirn werden an das Großhirn weitergegeben, unwichtiges gestrichen. Interessant zu wissen ist, dass bei Gefahr sofort der Kampf- oder Fluchtreflex ausgelöst wird. Dabei wird das Grosshirn nicht "gefragt". Die Meldung wird direkt über das Mittelhirn verarbeitet. Für den Reiter bedeutet es, dass ein Pferd, welches aus irgendeinem Grund in Panik/Stress gerät, nicht mehr in der Lage ist, die Hilfen des Reiters zu verarbeiten! Verletzungen im Gerhirn oder Rückenmark sind nicht reparabel und können u.a. zu schweren Ataxien führen.

2. Vegetatives Nervensystem
Das VNS arbeitet mit dem Mittelhirn und Zwischenhirn zusammen. Zum VNS gehören der Sympathikus und der Parasympathikus. Sie sind zwei sog. Gegenspieler. D.h. arbeitet der eine, ist der andere weniger aktiv und umgekehrt. Gesteuert wird durch ihnen alle Funktionen, die nicht dem Willen unterworfen werden. Dazu gehören z. B. Herzschlag, Darmmotorik, Muskeltonus.  Sie arbeiten eng mit dem Hormonsystem zusammen. Das Nervensystem des Sympathikus verläuft links und rechts parallel zur Wirbelsäule. Es ist für alle Prozesse zuständig, die den Körper aktivieren und Energie verbrauchen. Dazu gehören z.B. Beschleunigung des Herzschlages, Durchblutung reduzieren, Verengung von Blutgefäßen, Erhöhung der Grundspannung der Muskeln. Es wird dann aktiviert, wenn das Pferd in Gefahr ist oder vermehrt Stress hat.
Der Parasympathikus ist der Gegenspieler dazu und sorgt für alle Funktionen, die das Pferd ruhiger machen und der Gewinnung von Energie dienen. Dazu gehören z.B. Entspannung der Muskulatur, Verlangsamung der Herzschläge, Anregung der Darmmotorik. Zum Parasympathikus werden die Nervenstränge gezählt, die direkt aus dem Gehirn kommen sowie Nervenstränge aus dem hinteren Lendenbereich, die zur Harnblase, zum Mastdarm und zu den Geschlechtsorganen ziehen.
Ein Pferd, dass z.B. Schmerzen hat, in der Herde nicht integriert ist oder unter Druck geritten wird, hat immer eine erhöhte Sympathikusfunktion.

3. Peripheres Nervensystem
Hierzu zählen alle Nerven, die durch den Körper verlaufen und nicht zum ZNS oder VNS gehören. Unterschieden wird dabei in motorische (Bewegung) und sensorische (Fühlen) Nervenfasern. Die motorischen Fasern kommen vom Rückenmark und gehen in die Muskelzellen. Die sensorischen Fasern verlaufen über Rezeptoren der Muskeln, den Sinnesorganen und der Haut in Richtung Rückenmark. 
Über Austrittsöffnungen an den Wirbeln verlassen die Nerven den Wirbelkanal und verteilen sich im Körper. Die Nerven des PNS können bei Verletzung wieder repariert werden. Was allerdings Zeit braucht.

Die Bewegungen des Pferdes (und auch Menschen) werden über das periphere Nervensystem koordiniert. Es gibt dabei verschiedene sog. Rezeptoren. Ein Rezeptor ist eine Zelle oder ein kleines Nervengebilde, die als Empfänger von verschiedenen Signalen/Reizen arbeitet. Es wandelt die empfangenen Signale/Reize für die Nerven in eine verständliche Form um. Dabei meldet ein Rezeptor immer den gleichen Reiz.
Für uns in erster Linie wichtig sind die Propriozeptoren, die für Bewegung zuständig sind und Rezeptoren, die für Schmerz zuständig sind. Darüber hinaus gibt es noch weitere, die z.B. Druck, chemische Veränderungen oder Wärme an das Gehirn leiten. Die Nozirezeptoren befinden sich in allen Gewebestrukturen des Körpers.

Funktion des Nervensystem, hier PNS

Das Nervensystem hat nun die Aufgabe alle Reize in eine koordinierte Bewegung umzuwandeln. Dabei sind Unmengen an Aufgaben zu erledigen. Nehmen wir als Beispiel, dass unser Pferd einen Schritt machen soll. Das PNS muss folgendes Verarbeiten lassen:
- Stabilisierung eines Gelenkes
- Beugung eines anderen Gelenkes
- Vorheben eines weiteren Gelenkes
- Streckung eines Gelenkes
Dabei werden die einzelnen Muskeln immer wieder anders angesprochen. Mal müssen sie sich etwas zusammenziehen, mal etwas dehnen, mal etwas stabilisieren.
Wird das dann noch auf etwas unebenen Untergrund verlangt, erhöht sich die Aufgabe um ein Vielfaches.
Für diese Aufgabe hat das Nervensystem zahlreiche Unterstützung in Form von Propriozeptoren.

Propriozeption
Als Propriozeption bezeichnet man die Wahrnehmung des Körpers im Raum. Diese Stellung wird durch die Propriozeptoren in allen Strukturen (Bändern, Sehnen, Muskeln und Gelenkkapseln) gemeldet. Sie geben Auskunft über die momentane Stellung und Bewegung dieser Strukturen. Kommt es zu einer Veränderung, wird diese sofort an das Gehirn geleitet. Von dort kommt eine Antwort mit einer entsprechenden Korrektur z.B. der Muskulatur.
Beispiel: Das Pferd tritt auf einen Stein. Die Rezeptoren melden das Ungleichgewicht in den Gelenken. die entsprechenden Muskeln bekommen die Information zur Stabilisierung. Dabei kommen die Korrekturen zuerst direkt aus dem Rückenmark. Dies ist schneller und einer der Reflexe. Der Reiz wird aber trotzdem an das Gehirn weitergeleitet.
Besonders viele von diesen Rezeptoren sitzen in der sog. tiefen Muskulatur, die sehr nah an den Gelenken sitzt. Auf die Funktion der Muskulatur und ihre Besonderheiten werde ich in einem anderen Blog noch gezielt eingehen.

Schmerzreiz - Nozizeption
Der Körper ist immer als Gesamtheit zu betrachten. Jeder Schmerzreiz führt in erster Linie zu einer Veränderung der Bewegung. Das kann jeder nachvollziehen, der schon mal anständig Rückenschmerzen hatte und im Laufen eingeschränkt war. Die Nozizeption ist die Wahrnehmung von Schmerz. Die Veränderung der Bewegung kann dabei in einem sehr kleinen Ausmaß beginnen, welche für einen Laien kaum wahrnehmbar ist, bis hin zu einer starken Lahmheit. Früher war man der Meinung, dass Schmerz durch eigene Rezeptoren gemeldet wird. Inzwischen ist aber bekannt, dass alle Rezeptoren Schmerz melden können. Dass bedeutet für uns als Reiter oder Pferdebesitzer, dass Schmerz irgendwo im gesamten Körper auch Auswirkungen auf den Bewegungsablauf haben kann. Beispiel: ein Pferd mit Blinddarmproblemen, mag meist das rechte Hinterbein nicht so weit nach vorne bringen wie das Linke.
Wichtig: Die Nozizeption wird durch die Bewegung im Rückenmark gehemmt. Mechanische Meldungen für Bewegung werden denen des Schmerzes vorgezogen. Das hat damit zu tun, dass auch ein verletztes Pferd noch die Möglichkeit zur Flucht hat. Genau diese Hemmung bzw. Bevorzugung im Rückenmark ist aber genau der Grund, warum Pferde sich "einlaufen" oder vor dem Reiten im Rücken empfindlich aus Putzen reagieren und nachher nicht mehr! Ein guter Therapeut oder Osteopath ist auch daran zu erkennen, dass er zuerst das Pferd auf Schmerzempfindlichkeit untersucht und dann erst die Bewegungsanalyse macht.

Schlussfolgerung
Durch das Zusammenspiel des gesamten Nervensystems auf das Pferd wird dieses in seinem Handeln bewusst und unbewusst beeinflusst. Bewegungen werden durch Reflexe ausgelöst oder gehemmt. Deshalb muss sich jeder Reiter darüber im klaren sein, dass nicht immer alles vom Pferd willkürlich gemacht wird. Ein Pferd reagiert vielmehr auf seine Umwelt und deren Einflüsse. Äußere Einflüsse wie Stress, Gefahr oder schlechtes Reiten beeinflussen die Koordination der Bewegung negativ durch eine Erhöhung des Sympathikus. Dadurch können wir keine Losgelassenheit erreichen und auch keinen Aufbau der Muskulatur. Fallen dem Reiter solche Entwicklungen auf, so sollte er über diese Einflüsse nachdenken und etwas dagegen unternehmen. Zufriedenheit erhöht jedoch das in sich ruhende Pferd und damit auch den Parasympathikus. Wichtige Voraussetzungen für effektives Training.
Im Training sollten wir auf gute Bedingungen achten. Dazu gehört auch ein anständiger Bodenbelag. Auf Dauer ist Training auf einer Wiese oder einem unebenen Reitplatz eher schädlich für das Pferd.
Auch innere Einflüsse wie Schmerzen spiegeln sich in der Bewegung wieder. Ein taktunreines Pferd, welches sich einläuft, hat trotzdem noch Schmerzen. Diese sollten abgeklärt werden. Ansonsten können sich daraus starke Veränderungen im allgemeinen Bewegungsempfinden ergeben.
Alle diese Funktionen sind auch auf den Menschen übertragbar. Unser Nervensystem funktioniert auch so. Dabei solltet ihr euch nochmal den Zusammenhang mit Stress und Muskelspannung überlegen. Wenn ihr gereizt im Stall ankommt und reiten wollt, wird es mit Sicherheit nicht gut enden. Durch euren erhöhten Sympathikus ist eure Muskelspannung erhöht. Das wirkt sich mehr oder weniger unbewusst auf die Qualität der Reiterhilfen und dem Sitz aus. Diese verschlechterte Qualität in Verbindung mit einer veränderten Stimme, auch das ist unbewusst, erhöht den Stress beim Pferd. Wie sich der Teufelskreis jetzt schließt, könnt ihr euch nun denken.

Allgemeines

In diesem Blog geht es um die Ausbildung des Pferdes im ganzheitlichen Sinne. Es ist reitweisenübergreifend. Der Titel "Der intelligente Reiter" ist von mir gewählt worden, da ein Reiter, der das Wissen über das Pferd hat, dieses auch gut ausbilden kann. Er ist in der Lage Fehler und Schwachstellen zu erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dabei weiß er um die Psyche, Biomechanik und andere wichtige Gebiete.
In diesem Blog werden Themen aufgegriffen, die interessant für die Pferdeausbildung sind. Dabei geht es z.B. nicht um die einzelnen Hilfen sondern vielmehr um das, was dahintersteckt. Gerne nehme ich Themenvorschläge von euch an und versuche diese als Post im Blog umzusetzen.
Ich bin klassische Ausbilderin, mache ein Studium zur Pferdeosteopathin und bin FN Trainerin C Reiten sowie Ausbilder im Reiten als Gesundheitssport. Mein Anliegen ist es, den Reitern/Schülern mein Wissen zu vermitteln. Als praktische Orientierung in der Pferdeausbildung arbeite ich dabei hauptsächlich nach den altklassischen Grundsätzen und der Légèreté. Ich gebe mobilen Reitunterricht, komme zu Kursen und Fachvorträgen auf eurem Hof.
Auf meiner Webseite erfahrt ihr mehr über meine Arbeit.
www.marion-wiesmann.de