Dienstag, 19. März 2013

Der Schultergürtel

Die Vorderbeine des Pferdes sind nicht wie bei uns über einen Knochen (Schlüsselbein) am Rumpf befestigt. Das Schulterblatt liegt neben dem Pferdekörper. Die Befestigung wird durch Muskeln, Sehnen und Bänder erledigt. Der Rumpf ist wie eine Art Hängematte zwischen Schultern und Oberarm eingebettet. Diese Anheftung bezeichnet man als Schultergürtel. Durch diese Konstruktion ist der Schultergürtel sehr beweglich in der Vorwärtsbewegung und dient als Stoßdämpfer.

Schulterregion Mensch
Quelle: Wikipedia

Anheftung Vorderbein an den Rumpf
aus: Denoix/Pailloux: Physiotherapie und Massage bei Pferden



Die Anheftung der Vorderbeine zieht zum einen Teil vom Brustkorb mit Rippen, Brustbein und Brustwirbeln zu den Knochen von Schulterblatt und Oberarm. Sie liegt sozusagen auf der Innenseite und Außenseite des Beines und heftet sich dann an den entsprechenden Stellen vom Rumpf an. Ein weiterer Teil führt zu den Halswirbeln und zum Kopf. Die Muskeln sind der Gliedmaßenmuskulatur von außen aufgelagert. Sie bilden somit auch zum Teil das äußere Exterieurbild des Pferdes in der Region Schulter/Brust. Ihr könnt zu der Anheftung auch noch mal im Beitrag über das Muskelsystem nachlesen. Im folgenden werde ich die beteiligten Muskeln auflisten:

Oberflächliche Schicht
M. Trapezius - Trapezmuskel/Kappenmuskel - Anheftung vom Schulterblatt zu den Hals- und Brustwirbeln
M. Omotransversarius -   - Anheftung von den Halswirbeln zum Schulterblatt und Oberarm
M. Brachiocephalicus - Arm-Kopfmuskel - Anheftung vom Oberarm zum Schläfenbein
M. Latissimus Dorsi - Breiter Rückenmuskel - vom Oberarm zum Widerrist bis letzte Lendenwirbel
M. pectorales Superficialis - oberflächlicher Brustmuskel - vom Unterarm zum Brustbein

Tiefe Schicht
M. Rhomboideus -  Rautenmuskel  - vom oberen Schulterblattrand zu den Hals- und Brustwirbeln bis Ende Widerrist
M. Serratus Ventralis -   - vom oberen Rand des Schulterblatt zu den Halswirbeln und den ersten 8-9 Rippen
M. Pectorales Profundus - tiefer Brustmuskel - vom Oberarm bis zum Brustbein und der 4. - 9. Rippe
M. Subclavius - Unterschulterblattmuskel - über einen Schulterblattmuskel und einer Faszie der Schultergegend zum Brustbein und der 1. - 4. Rippe

Ansicht der Skelettbestandteile von vorne
Foto: Privat


Funktion und Dysfunktion der Schultergürtelmuskeln
Sind die Muskeln des Schultergürtels locker, dann sind sie sehr gut in der Lage Stöße des Rumpfes auf die Gliedmaßen abfangen. Eine verspannte Muskulatur ist dazu nicht mehr in der Lage. Die Stöße werden direkt auf die Gelenke und Muskeln der Vordergliedmaße übertragen. Dadurch wird die Belastung der Knochen, Sehnen und Bänder erhöht. Gesundheitliche Probleme sind die Folgen. Neben der Funktion als Träger der Schultergliedmaße und des Rumpfes sind die Muskeln auch an der Bewegung der Gliedmaße beteiligt. Sie bewegen die knöchernden Anteile der Gliedmaße an denen sie befestigt sind nach vorne, zurück und zur Seite. Sie beugen und strecken dabei die Gelenke. Die Muskeln, die zu den Halswirbeln ziehen sind auch an dem Heben und Senken von Kopf und Hals sowie Seitwärtsbiegung beteiligt. Sind die Muskeln verspannt, dann hat das Auswirkungen auf die Qualität der Bewegung. Wenn wir uns nun wieder an die Kettenreaktionen bei Problemen erinnern, dann kann man sich schon vorstellen, was das wieder für Auswirkungen auf den gesamten Körper hat.
Beispiele:
  • eingeschränktes Vorführen der Gliedmaße bei verspanntem Trapezmuskel
  • Wegdrücken des Rückens bei verspanntem latissimus dorsi
Bei einem Sturz oder einer längeren einseitig stärkeren Belastung einer Gliedmaße (z.B. mangelnde Geraderichtung, Aufsteigen immer von einer Seite ohne Aufsteighilfe) kommt es zu einer einseitigen Anspannung der Schultergürtelmuskulatur. Nun stellt euch das einmal bildlich vor. Die Muskeln der einen Seite spannen mehr an. Dadurch ziehen sie den Brustkorb zu dem Vorderbein herüber. Je nachdem welche Muskeln stärker betroffen sind, kann der Brustkorb dabei auch noch rotieren (drehen). Durch dieses einseitige Ziehen verschiebt sich die Wirbelsäule des Pferdes. Das Pferd ist nicht mehr in der Lage geradegerichtet zu laufen. Die gesamte Muskulatur zur hohlgebogenen Seite verkürzt sich. Das Problem weitet sich dann über die gesamte Wirbelsäule aus. Folgen sind u.a.:
  • Beckenschiefstand
  • einseite Blockierung des Kiefergelenkes, Atlas usw.
  • einseitige Überlastung der Gliedmaßen vorne und hinten
  • Blockierungen in den Zwischenwirbelgelenken
  • verstärkte einseitige Schultermuskulatur
  • schief sitzender Reiter
  • schiefer Sattel
Ist die Muskulatur nicht kräftig genug, kann sie die Stabilisierung des Rumpfes nicht korrekt gewährleisten. Dann sackt der Übergang zwischen Hals- und Brustwirbel nach unten ab. Gut an einer "tief" hängenden Brust des Pferdes zu erkennen. Hier gilt es schnellstmöglich wieder die Muskeln zu kräftigen. Durch diese Fehlhaltung kommt es schnell zu einem Problem an den Dornfortsätzen des Widerrist und ein mangelndes Aufwölben des Rückens. Diese Pferde haben auch häufig eine schwache Galoppade in der Vorhandbewegung, einen Axthieb, stolpern gerne mal und tragen sich nicht richtig.

ehemaliges Rollkurpferd und Kopper
tiefe Brust und leichter Axthieb
Foto: privat
 
Training des Schultergürtels
Die gesamte Muskelgruppe kann sehr gut über die Seitengänge und Längsbiegung trainiert werden. Gerade bei Springpferden wird der Schultergürtel stark beansprucht. Für diese Pferde ist eine gymnastizierende Arbeit daher besonders wichtig.
Als zusätzliche Maßnahmen empfehle ich die Massage der Muskeln. Eine besonders effektive Übung ist auch die Widerristschaukel. Dabei stellt ihr euch neben einem Vorderbein mit Blick nach vorne. Mit einer Hand fast ihr oben auf den Widerrist und bewegt diesem ganz langsam zu euch rüber und in die entgegengesetzte Richtung. Dabei nur so viel herübernehmen, dass das Pferde nur die Fesselgelenke mehr beugt und streckt. Wenn es den Huf vom Boden nimmt, ist es zuviel. Durch diese Übung löst ihr Verklebungen in der Muskulatur und sorgt für ein leichtes An- und Abspannen.

Sollten Probleme länger bestehen bleiben, empfehle ich euch unbedingt die Hilfe eines Pferdeosteopathen zu suchen!