Dienstag, 19. März 2013

Wie korrigiert man Anlehnungsfehler? Teil 2 - Gegen die Hand

Ich möchte euch meinen Weg zeigen, wie ich bei Pferden Probleme in der Anlehnung korrigiere. Zusätzlich ist es mir wichtig, dass ihr den ganzheitlichen Zusammenhang erfahrt. Das wird meiner Meinung nach häufig auch von Fachleuten nicht erklärt oder nicht erkannt. Beim Schreiben habe ich schon wieder festgestellt, dass ich auch die Korrekturen teilen muss. Es wird also noch einen Teil für Pferde geben, die sich nach hinten entziehen.

Grundsätzliche Überlegungen zu "Korrekturpferden"
Als Reiter muss man sich bewusst machen, dass es nicht sinnvoll ist, dem Pferd Fehler beizubringen oder eine falsche Haltung erst einmal zu tolerieren. Jede Bewegung wird im Gedächtnis des Pferdes abgespeichert. Wird diese nicht korrigiert, dann ist es für das Pferd normal. Es lernt! Anlehnungsfehler entstehen durch ein falsch aufgenommenes Verständnis für die Hilfen, grobe Einwirkung des Reiters, Schmerzen, mangelnde Ausbildung und Muskulatur, unpassende und defekte Ausrüstung usw. Die Ursachen müssen abgestellt werden und das Pferd muss neu "programmiert" werden. "Programmiert" bedeutet in dem Fall, die alte Reaktion löschen und eine neue Reaktion speichern. Das kann je nach Geschick des Reiters viele viele Monate dauern. Jedes Mal, wenn der alte Fehler nicht korrigiert wird oder die Ursache wieder erscheint, dann machen wir Rückschritte oder kommen nicht voran. Das bedeutet für den Reiter, dass er sehr pingelig sein muss. Wenn ihr es schafft, schon im Ansatz des Fehlers einzugreifen, dann könnt ihr schneller erfolgreich werden.

Alle Anlehnungsfehler, die durch falsche und mangelnde Ausbildung, grobe Einwirkung und Schmerzen durch harte Einwirkung verursacht werden, sollten nach meiner Erfahrung zuerst vom Boden korrigiert werden. Hier hat das Pferd im Normalfall keine schlechten Erfahrung gemacht. Ihr habt das Pferd als Ganzes im Blick. Um etwas zu ändern, müßt ihr euch selber dem Fehler stellen. In diesen Fällen habt ihr den Mist selber direkt verbockt bzw. jemand, dem ihr das Pferd anvertraut habt bzw. Vorbesitzer. Auch wenn es am eigenen Ego kratzt, es ist aber so. Fehler sind menschlich, müssen aber eingestanden werden. Sonst braucht ihr mit der Korrektur gar nicht weitermachen. Am einfachsten ist es, wenn ihr anfangt euren eigenen Horizont zu erweitern und euch kritischer mit dem Reiten auseinandersetzt. In jedem Stall und im reiterlichen Freundeskreis gibt es Reiter, die immer alles besser wissen und euch mit ihrem Halbwissen unterstützen möchten. Kann ja auch sein, dass sie wirklich gute Tipps haben. Aber schaut euch ganz objektiv diese Leute an. Wie sind ihre Pferde ausgebildet? Wie gehen sie mit ihnen um? Daran könnt ihr die Spreu vom Weizen trennen. Ich bin ja selber auch viel bei Facebook unterwegs und stoße immer wieder auf Bilder mit Pferden, die eben nicht korrekt ausgebildet scheinen. Als Ausrede gilt immer die so genannte Momentaufnahme des Bildes. Das ist für mich nicht gültig. Warum stellt jemand absichtlich ein Bild ins Internet, dass Pferd und Reiter schlecht darstellt. Vielmehr sehe ich da eine gehörige Portion Betriebsblindheit bei vielen.

Ich werde die Korrekturideen in 2 Bereiche unterteilen. Zum einen die Pferde, die gegen die Hand gehen und sich nach oben herausheben und zum zweiten die Pferde, die sich rückwärts entziehen. Diese werden in einem weiteren Beitrag abgehandelt.

Wenn das Pferd gegen den Zügel oder die Hand geht


Wir haben hier ein Pferd, dass den Kampf noch nicht ganz aufgegeben hat. Es wehrt sich noch gegen die Einwirkung. Diese Pferde sind dadurch für mich einfacher zu korrigieren. Sie sind immerhin noch bereit zur Kommunikation.

Biomechanische Grundgedanken
Was passiert im Pferdekörper, wenn das Pferd nach vorne/oben mit Kopf und Hals geht?
Die obere (dorsale) Muskelkette ist bei diesen Pferden angespannt, also verkürzt. Normalweise soll sich diese Muskelkette dehnen. Die untere (ventrale) Muskelkette und die Muskeln des Bauches sind gedehnt. Diese sollen eigentlich anspannen und von unten stützen (vgl. Beitrag Muskelketten). Das Pferd arbeitet also umgekehrt zum eigentlich erwünschten biomechanischen Hintergrund. Daraus ergeben sich häufig auch Auswirkungen auf das Skelett. Die Wirbelsäule befinden sich in einer sog. Extensionsblockierung (Wirbel biegen sich vermehrt nach unten durch) besonders im Bereich Halswirbel und Brustwirbel. Bei einigen Abschnitten ist die Extension physiologisch normal, aber in einem anderen Ausmaß. Gerade im Bereich der Brustwirbel können dann durch die langen Dornfortsätze oben auf den Wirbeln eine Annäherung oder Berührung dieser Dornfortsätze entstehen. Ihr kennt das sicherlich unter dem Begriff "Kissing Spines".

Verlauf der Pferdewirbelsäule
Quelle:
Hertsch, Anatomie des Pferdes, 3. Aufl.2000


Kissing Spines an den oberen Dornfortsätzen 

Pferde werden da meistens erst berührungsempfindlich. Zuerst kommt es zu einem entzündlichen Prozess. Wird die Haltung des Pferdes nicht korrigiert, kann es schnell zu Verknöcherungen an den Dornfortsätzen kommen. Die Beweglichkeit ist dann dauerhaft eingeschränkt. Das hat dann Auswirkungen auf das komplette Aufwölben der Wirbelsäule, da es im Verknöcherten Bereich nicht möglich ist. Das Pferd muss die Wirbel aber korrekt aufwölben, um den Reiter richtig zu "tragen".
Es gibt aber auch Fälle von "Kissing Spines", wo keine Symptome aufgefallen sind. Darauf sollte man aber nicht vertrauen.

Weitere Auswirkungen dieser Kopf/Hals Position sind auch ein "tiefer" Übergang zwischen Hals- und Brustwirbel (CTÜ). Dieser liegt, grob gesagt, zwischen den Vorderbeinen. Auch hier spricht man von einer Extensionsblockierung. In diesem Bereich verlaufen wieder viele Muskeln, die zum Schultergürtel gehören. Der Schultergürtel ist die muskuläre Aufhängung der Vorderbeine an dem Rumpf. Pferde haben kein Schlüsselbein. Dieser Schultergürtel ist u.a. auch ein wichtiger Stossdämpfer für das Pferd. Er funktioniert wie eine Art Hängematte und federt den Rumpf ab. Besonders wichtig beim Springen und anderen Bewegungen, bei denen die Vorhand vermehrt Last tragen muss. So wird viel Gewicht abgefedert und es landet weniger auf den Gelenken der Vordergliedmaßen. Ist die Muskulatur des Schultergürtel fest, dann kann sie dieses Abfedern nicht genügend übernehmen. Die Kraft aus dem Auffangen der Bewegung geht vermehrt auf die Gelenke und Muskeln der Vorhand. Hier entsteht eine typische Überlastung. Das führt dann zu frühzeitigen Verschleiß, sporadischen Lahmheiten, chronischen Sehnenproblemen usw.

Auf den hinteren Bereich des Pferdes hat diese Haltung natürlich auch Auswirkungen. Durch das Verkürzen der oberen Muskelkette wird das weit unter dem Schwerpunkt fußen verhindert. Das Kreuzbein beugt nicht richtig, die Hinterbeine schwingen mehr nach hinten raus. Die Streckmuskulatur der Hinterbeine ist fest und hyperton. Hat also eine unnatürlich hohe Muskelspannung. Dadurch kommt es meist zu Blockierungen im Bereich der Lumbosakral- und Iliosakralgelenke. Das Lumbosakralgelenk befindet sich zwischen letzten Lendenwirbel und 1. Kreuzwirbel, bei Pferden häufig als "Loch" erkennbar. Ist dieses "Loch" größer, liegt höchstwahrscheinlich eine Blockierung vor. Die Iliosakralgelenke (ISG), auch Kreuzdarmbeingelenke genannt, sind die Verbindung zwischen Kreuzbein und Becken. Beide Regionen sind für die Beweglichkeit des Pferdes in der Hinterhand äußerst wichtig. Der weitere Verlauf der Streckmuskulatur der Hinterbeine geht über in die Zehenbeuger. Diese enden als oberflächliche und tiefe Beugesehne unten am Pferdebein. Auch hier muss man wieder den ganzheitlichen Zusammenhang sehen. Sind die Muskeln zu den Beugesehnen in Dauerspannung, dann hat das auch Auswirkungen auf die dazugehörigen Sehnen der Hinterhand. Durch die dauernde Spannung des Muskels kann dieser nicht mehr nachgeben und die Spannung wird direkt an die Sehne weiter gegeben. Diese ist aber nicht so dehnbar wie ein Muskel. Wenn man das wieder weiterdenkt, dann kommt man dadurch u.a. auch zu Fehlstellungen im Huf und anderen Problemen. Der Muskel der oberflächlichen Beugesehne (m. flexor digitalis superficialis) ist u. a. auch an der "Spannsägenkonstruktion" beteiligt. Diese sorgt für eine gleichzeitige Bewegung von Knie- und Sprunggelenk. Ihr seht, es ist ein sehr tiefgehendes Problem.

unterer Abschnitt der Gliedmaßen


Korrekturmöglichkeiten
Grundsätzlich muss man hier zu der Korrektur nicht viel sagen. Es geht hauptsächlich darum, dass Pferd wieder geschmeidig zu machen. 
Bei den Anlehnungfehlern "gegen den Zügel" und "über den Zügel" könnt ihr erst einmal so starten, wie ich es im 1. Teil beschrieben habe. Diese Pferde haben keine Angst vor der Anlehnung. Sie kämpfen noch dagegen an. Das Problem ist nur, dass sich ihre Muskulatur entsprechend falsch entwickelt hat. Diese Muskeln müssen geschmeidig und beweglich gemacht werden. Häufig fehlt den Pferden das Gleichgewicht. Ihre natürliche Schiefe kann sich verstärkt haben und sie fallen stark auf eine Schulter (händige Schulter). Am Boden gearbeitet, muss das Pferd den Reiter nicht noch zusätzlich ausbalancieren. Außerdem könnt ihr durch gezielten kurzen Druck mit der Hand auf das Schulterblatt des Pferdes das Gleichgewicht wieder verbessern. Dabei solltet ihr genau in dem Moment mit Druck der Hand gegen die Schulter einwirken, wenn das Pferd mit dem Vorderbein, zu dem die Schulter gehört, abfußt. So könnt ihr das gerade Vorführen des Beines in die richtige Richtung leiten. Aber Achtung, drückt ihr zu lange, lehnt das Pferd sich wieder gegen euch. Wenn ihr dabei gleichzeitig eine leichte Biegung im Hals zu euch fragt, kann das Pferd sich einfacher auf das gegenüberliegende Vorderbein lehnen. Auch hier achtet ihr immer auf eine gleichmäßige Verbindung des äußeren Zügels.
Ihr beginnt die Biegeübungen zuerst im Halt und macht dann im Schritt weiter. Dabei dürft ihr ganz häufig Übergänge zum Halt einbauen. Das aktiviert zusätzlich die Bauchmuskeln. Wenn ihr gut zu Fuß seid, dürft ihr auch im Trab weitermachen und Übergänge zwischen Schritt, Trab, Halt und Rückwärtsrichten erarbeiten. dabei ganz viel auf gebogenen Linien arbeiten. Auch auf der geraden Linie könnt ihr das Pferd immer wieder biegen um so ein vermehrtes Runden des Halses zu bekommen. Spätestens dann, wenn das Pferd wieder vermehrt über den oder gegen den Zügel kommt. Arbeitet mit häufigen Richtungswechseln um die Muskulatur nicht zu ermüden.
Auch vom Sattel aus arbeitet ihr viel mit einer Längsbiegung des Pferdes. Häufige Wechsel zwischen geraden und gebogenen Linien schulen das Gleichgewicht. Jedes Mal, wenn das Pferd über den Zügel kommen möchte, fordert ihr es zu Biegung auf. Später sind auch Übungen im Schulterherein sehr sinnvoll, da dadurch die Vorhand nochmals vermehrt aktiviert wird und die Hinterhand geschmeidigt wird. Dabei könnt ihr auch auf gerader Linie mit einer vermehrten Abstellung oder auf gebogener Linie arbeiten.
Unterstützend könnt ihr die Hals- und Kruppenmuskulatur massieren um eine Aktivierung und verbesserte Durchblutung zu erreichen. Dabei aber nicht mehr als 2-3 x pro Woche massieren. Auch Pferde bekommen durch Massage Muskelkater. Die Bauchmuskeln aktiviert ihr durch eine sanftere Massage. Zusätzlich könnt ihr im Anschluss noch den Rücken aufwölben indem ihr von hinten nach vorne mit der Fingerkuppe an der Bauchnaht entlanggeht.


Was passiert dabei im Pferd?
Die Muskeln werden durch die geforderte Bewegung geschmeidiger und können ihre normale Arbeit verrichten. Ein stetiges Arbeiten in Verkürzung und Dehnung sorgt für eine gute Durchblutung des Muskels und zu einem Aufbau. Die verkürzten Muskeln werden wieder aktiviert. Einem Pferd fällt die Biegung in einer tieferen Haltung leichter. Dadurch wird es auch vermehrt die Dehnungshaltung suchen.