Samstag, 19. September 2015

Osteopathie - Chiropraktik - Knochenbrecher = Pferdebehandlung verstehen!

Heute möchte ich mich einmal einem weiteren, sehr emotional diskutiertem Thema widmen. Es geht um die Behandlungen von Pferden von ausgebildeten Therapeuten und selbsternannten Heilern, auch Knochenbrecher genannt. Diese Behandler haben eher selten eine entsprechende Ausbildung. Der wohl bekannteste von ihnen kommt aus Ostfriesland und ist im TV und Medien mit diversen Beiträgen zu finden. Ein ausgebildeter Pferdeosteopath oder Chiropraktiker hat in der Regel eine Qualifikation als Humanphysiotherapeut oder Tierarzt mit entsprechender Weiterbildung. Eine weitere Ausbildungsmöglichkeit gibt es für Quereinsteiger. Hier dauert die Ausbildung je nach Schule ca. 1,5 bis 2 Jahre und beinhaltet den theoretischen Hintergrund mit einem hohen Praxisanteil. Grundsätzlich ist es aber in Deutschland so, dass die Berufsbezeichnung Chiropraktiker oder Osteopath für Tiere nicht geschützt ist und auch die Ausbildungen nicht geregelt sind. Es kann sich also jeder so nennen und auf die Tiere losgelassen werden.

Ich möchte euch die Wirkungsweise und Zusammenhänge von Behandlungen erläutern und die Entstehung von Blockierungen.


Wie entsteht eine Blockierung oder Bewegungseinschränkung?

Zur Vertiefung eurer Kenntnisse empfehle ich meinen Beitrag über die Funktion des Nervensystems zu lesen. Hier gehe ich auf die Reizleitung Nerv ein. Den Beitrag findet ihr hier. Auch den Beitrag zur Muskulatur empfehle ich noch einmal zu Lesen. In dem Beitrag erfahrt ihr auch, wie sich Muskel- und Skelett verbinden. Den Beitrag findet ihr hier.

Bewegung entsteht durch das Zusammenspiel von knöchernen, muskulären und bindegewebigen Strukturen wie Sehnen und Bänder. In jedem Muskel befinden sich Fasern, die sich bei einem elektrischen Signal zusammenziehen können und sich dann auch wieder dehnen. Dieses Signal wird vom zentralen Nervensystem an den Muskel geleitet. Der Muskel spannt sich an und bewegt den Knochen bzw. das Gelenk, mit dem er über eine Sehne verbunden ist. Der Gegenspieler dieses Muskels macht die gegenteilige Bewegung. Wenn also einer das Gelenk beugt durch Verkürzung, dann muss der Gegenspieler loslassen und sich dehnen. So die Kurzfassung. Dieses Zusammenspiel von Muskeln und Nerven ist die Grundlage für die Erhaltung der Bewegung. Funktioniert dieses Zusammenspiel nicht mehr richtig, weil die Muskeln verspannen, kommt es zu einer Bewegungseinschränkung in dem betreffenden Gelenk.

In der Osteopathie wird nahezu jede Verletzung, Schädigung oder Störung von 2 benachbarten Strukturen als Läsion oder Dysfunktion bezeichnet. Dabei verliert ein Gelenk oder ein Wirbel seine natürliche Beweglichkeit. Dies kann zu Beginn für den Laien noch unauffällig sein, da Pferde Perfektionisten im Kompensieren sind. Im Bindegewebe kann es ebenfalls zu Läsionen kommen. Dabei ist die Eigenbewegung des Gewebes eingeschränkt. Solche Einschränkungen entstehen z. B. durch Narben, Tritte oder Schläge sowie Verletzungen des Gewebes. Nun hat jeder Körper iergendwo Läsionen. Das passiert einfach über die Jahre. Diese werden meist gut kompensiert und es treten keine Symptome auf. Kommt es aber zu einer zusätzlichen Belastung z. B. durch eine Verletzung, Überanstrengung, unpassender Sattel, falsches Futter usw. treten Symptome auf, die der Reiter dann wahrnimmt.

Als Blockierung bezeichnet man eine eingeschränkte Beweglichkeit eines Gelenks oder Wirbelabschnittes, die reparabel ist. Anders ist es bei einer Blockade. Hier handelt es sich um einen kompletten Verlust der Bewegung durch Verknöcherung. Wenn Blockierungen über einen längeren Zeitraum bestehen, kommt es zu einer knöchernen Zubildung an den beteiligten Knochen und die Bewegung ist nicht mehr möglich.

Was passiert bei der Untersuchung und Behandlung?

Die Behandlung erläutere ich euch aus der Sicht der Osteopathie, da ja hier auch mein Schwerpunkt liegt.

Der Pferdebesitzer stellt irgendwann einmal fest, dass etwas nicht mehr so funktioniert wie vorher. Vielleicht wurde er auch schon durch einen Tierarzt auf die Idee gebracht. Bei dem ersten Termin macht der Therapeut eine genaue Anamnese. Hier werden allgemeine Daten zum Pferd aufgenommen wie z. B. Alter, Training, Haltungsbedingungen, Fütterung, Vorerkrankungen, Probleme usw. Eine genaue Befragung ist der erste Schritt der Behandlung und erleichtert eine spätere Diagnosestellung. Als nächstes kommt die Adspektion. Das Pferd wird von allen Seiten betrachtet und verglichen. Dabei werden Gebäudeprobleme ebenso aufgeführt wie muskuläre Auffälligkeiten, Hufe, Form der Wirbelsäule oder Fehlstellungen in den Gliedmaßen. Für die genaue Diagnose folgt als nächstes die Palpation, also das Fühlen und Berühren des Körpers. Hier nimmt der Therapeut Wärme- und Kälteunterschiede war, Verspannungen der Muskeln und schmerzhafte Regionen. Dabei nimmt der Therapeut auch Kontakt zum Inneren des Körpers auf und "lauscht" in ihn rein. Die Palpation geschieht durch eher sanften Druck mit den Fingerkuppen. Es wird z. B. die Verschieblichkeit und Nachgiebigkeit der Haut oder der Muskeln getestet. Dabei erfolgt immer der Seitenvergleich. Das Abdrücken von Diagnosepunkten aus der Akupressur ergänzt die Palpation.

Palpation der Muskulatur
Foto: privat


Anschließend erfolgt die ausführliche Bewegungsanalyse. Das Pferd wird im Schritt und Trab vorgestellt. Es werden Wendungen, Rückwärtsrichten und die Fähigkeit des Kreuzens abgefragt und ausgewertet. Dabei achtet der Therapeut auf die physiologische Bewegung der Gelenke und der Wirbelsäule und vergleicht wieder beide Seiten. Eine Bewegungsanalyse an der Longe kann die Diagnose ergänzen. Zu einer korrekten Befundaufnahme gehört auch die Kontrolle der Ausrüstung. Passen Sattel und Trense nicht, kann das große Auswirkungen haben. Ein schiefer Reiter überträgt seine körperlichen Defizite auch auf das Pferd und sorgt für Probleme.

Bewegungsanalyse
Foto: privat

Sind diese Untersuchungen abgeschlossen, widmet sich der Therapeut der genauen Untersuchung der einzelnen Gelenke. Die Reihenfolge der Vorgehensweise ist dabei bei jedem unterschiedlich. Es werden aber sämtliche Gelenke der Gliedmaßen und die Wirbelsäule untersucht. Dabei wird durch spezielle Tests die physiologische Bewegung der Gelenke getestet. Jedes Gelenk wird in seiner natürlichen Bewegung getestet. Dabei achtet der Therapeut auf das Ausmaß der Bewegung und das sogenannte Endgefühl. Das ist das Gefühl, das am Ende der Bewegung kommt, wenn das Gelenk durch den Muskel oder ggf. auch anderen Strukturen, in seiner Bewegung gebremst wird. Dabei unterscheidet man 3 Formen des Stopps:
  1. muskulärer Stopp: Hier wird die Bewegung über die Muskeln gebremst. Das ist die normale und gesündestes Art der Endbewegung.
  2. ligamentärer Stopp: Die Bewegung wird durch Bänder und die Gelenkkapsel gebremst. Die Muskeln werden dabei etwas überdehnt, da sie bereits vorher bremsen wollten und die Bewegung weiter ging. Geschieht dies öfter, kann es zu Erkrankungen des Gelenks und frühzeitigem Verschleiß des Gelenks kommen.
  3. knöcherner Stopp: Die Bewegung geht über den muskulären und ligamentären Stopp hinaus. Die Bewegung des Gelenks wird über die Knochen gebremst. Dies ist für das Gelenk die schädlichste Art der Bewegungsendgrenze. Knöchernde Strukturen können dabei Schädigung nehmen und Bänder reißen. Bei der Behandlung mit langen Hebeln wird grundsätzlich immer über diesen Stopp gearbeitet!
Ist das Endgefühl weich und nachgiebig, so arbeitet das Gelenk korrekt. Ist das Endgefühl zäh oder hart, dann ist das Gelenk blockiert.

Es gibt Gelenke, die können nur Beugen und Strecken, einige arbeiten in Links- oder Rechtsbiegung, Gleiten oder Rotieren. Auch eine Kombination von diesen Bewegungen ist bei einigen Gelenken normal. Auch hier ist wieder der Seitenvergleich wichtig. Alle Unstimmigkeiten oder Auffälligkeiten nimmt der Therapeut auf, um daraus mit den vorherigen Ergebnissen eine Diagnose zu stellen.

Testung Hufgelenk
Foto: privat



Testung Karpalgelenk
Foto: privat


Bei der anschließenden Behandlung des Pferdes wird das gesamte Pferd behandelt. Die Behandlung von einzelnen Läsionen bringt keine nachhaltige Verbesserung. Dabei wird zuerst das dazugehörige Gewebe vorbereitet und erwärmt. Dies geschieht i. d. Regel mit Massagetechniken. Nur der vorbereitete Muskel lässt die Behandlung zu und schützt das Gelenk nicht noch mehr. Anschließend nutzt der Therapeut verschiedene Techniken um die Bewegung des Gelenks wieder herzustellen. Diese Techniken kommen aus der manuellen Therapie und sind sanft. Die Gelenke werden in ihrer natürlichen Funktion mobilisiert. Der Osteopath stellt in der Behandlung die natürliche Bewegung der Gelenke wieder her. Er regt den Körper zur Selbstheilung an.

Vorbereiten der Muskulatur
Foto: privat
Nach der Behandlung erhält der Besitzer vom Therapeuten Tipps für das weitere Training und den korrekten Aufbau der Muskulatur. Denn erst jetzt beginnt die Phase der Genesung, Nun ist der Reiter gefordert und muss gezielt Krankengymnastik betreiben. Nur so kann eine Blockierung sicher abgestellt werden. Eine Abstellung der Ursache ist natürlich Voraussetzung.

Insgesamt dauert eine gute Untersuchung und Behandlung eines Pferdes so ca. 1,5 Stunden. Es sollte auf eine ruhige Umgebung geachtet werden. Das Pferd darf niemals zur Behandlung gezwungen werden. Nasenbremse, Seile zum Fixieren oder Sedierung sind absolut Tabu und zeugen eher von Unwissen und üblen Machenschaften des Therapeuten, aber nicht von professioneller Therapie.

Was passiert ohne Vorbereitung der Muskeln und bei der Behandlung mit langen Hebeln?

Würde man bei der Behandlung mit Kraft und langen Hebeln arbeiten, dann verhindert die muskuläre Anspannung die Bewegung des Gelenks. Dieser Reflex geschieht automatisch zum Schutz des Körpers. Zieht man dann trotzdem an dem Gelenk bzw. Bein, dann kommt es zu Rissen im Muskel, den Sehnen und Bändern, die Gelenkkapsel kann geschädigt werden und im schlimmsten Fall kommt es zu Knochenabsplitterungen oder Brüchen. Gelenke werden sich durch den Reiz entzünden. Diese Entzündung führt wiederum zur Ansammlung von vermehrter Gelenkflüssigkeit und somit zu erneuten oder schlimmeren Läsionen in dem Gelenk. Durch die reflexartige Schutzfunktion der Muskeln wird das betroffene Gelenk kurzfristig stabilisiert. Aus diesem Grund fällt auch direkt nach so einer schlechten Behandlung keine Verschlimmerung der Problematik auf. Diese kommt meist erst später zum Vorschein und kann deshalb oft mit so einer Behandlung nicht im direkten Zusammenhang gebracht werden.

Wird die verspannte Muskulatur nicht genügend erwärmt, dann werden die Blockierungen immer wieder auftreten. Die Muskeln passen sich mit der Zeit der eingeschränkten Bewegung an. Sie müssen durch verbesserte Durchblutung und Dehnungen wieder zu ihrer physiologisch normalen Arbeit kommen. Nur so kann die Behandlung erfolgreich sein.

Ein weiteres Problem bei der Arbeit mit den langen Hebeln ist die, dass immer mehrere Gelenke zur gleichen Zeit traktiert werden. Wenn das Bein in eine Richtung ruckartig gezogen wird, dann werden alle Gelenke über ihren knöchernden Stopp hinaus überstreckt. Man behandelt somit auch Gelenke, die keine Auffälligkeiten haben und sorgt jetzt hier für Verletzungen.

Auch bei älteren Pferden oder auch jüngeren Pferden mit Gelenkproblemen ist von solch einer Behandlung unbedingt abzuraten. Bei solchen Pferden können sich Arthrosen an den Gelenken gebildet haben. Diese Gelenke werden richtig auseinander gerissen, wenn mit Kraft dran gezogen wird!

Schlussfolgerung

Mit diesem Wissen sollte eigentlich jedem klar sein, dass die Behandlung von Bewegungseinschränkungen und Blockierungen nur auf eine Art und Weise geschehen kann:nämlich sanft, ohne Krafteinwirkung durch lange Hebel (Beine langziehen) und mit Vorbereitung der Muskulatur durch z. B. Massage! Alles andere ist nicht nur Tierquälerei sondern verstößt meiner Meinung nach gegen das Tierschutzgesetz ( Man darf einem Tier nicht ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden etc. zufügen, außer in Notfällen!).

Ich denke, ich kann für alle echten Kollegen sprechen, wenn ich behaupte, dass wir nicht neidisch auf das sind, was ein Knochenbrecher macht. Auch wenn von der Seite gerne solche Behauptungen kommen und auch der vom Therapeuten iniziiert Wunsch nach Zusammenarbeit. Ein guter Therapeut arbeitet mit Tierärzten, Hufschmieden, Sattlern, THP und anderen ausgebildeten Fachkräften zusammen.

Bitte achtet zum Wohle eurer Pferde darauf, welche Qualifikation die Menschen haben, die an euren Pferden Hand anlegen. Lasst euch nicht von den Medien blenden. Hier wird sicherlich auch gerne vertuscht und Filmmaterial ist manipulierbar. Da kann man schnell mal unschöne Szenen rausschneiden! Dann achtet auf euer Bauchgefühl. Meint ihr wirklich, dass extrem unruhige Pferde die Behandlung toll finden? Würdet ihr das bei euch so machen lassen?